Mobile Arbeit geschlechtergerecht regulieren

Beschlüsse | 2. August 2022

Als Mittel zur Pandemiebekämpfung wurden mobile Arbeitsformen in der Corona-Krise deutlich ausgeweitet und führten zu einer neuen Gewohnheit, die aus einer modernen Arbeitswelt in vielen Branchen nicht mehr wegzudenken ist. Ob im Büro, im Homeoffice oder auf Dienstreise von unterwegs – den Arbeitsort mitbestimmen zu dürfen, eröffnet Beschäftigten grundsätzlich neue Chancen, Erwerbs- und Sorgearbeit besser in Einklang zu bringen. Durch wegfallende Wegezeiten zum Arbeitsort oder die Möglichkeit, Pausenzeiten auch für Erledigungen oder die Koordination der Betreuung zu nutzen, werden zeitliche Spielräume eröffnet, die vielfältigen Pflichten im Alltag zu bewältigen.

Gleichzeitig führen die Art der Beschäftigung, die eigene Wohnsituation, Ausstattung mit Arbeitsmitteln und die soziale Umgebung zu ungleichen Ausgangsbedingungen. Berufsgruppen, wie Verkäufer*innen im Einzelhandel, Pfleger*innen oder Busfahrer*innen, die oft im unteren Drittel der Einkommensverteilung liegen, können nicht im Homeoffice arbeiten und somit nicht die Chancen der mobilen Arbeit für sich nutzen. Es sind vor allem Selbstständige und Männer in gehobenen Positionen, die in Berufen mit dem höchsten Anteil an Erwerbstätigen im Homeoffice tätig sind. Sind Frauen in „homeofficefähigen“ Berufen erwerbstätig, sind sie in der Regel technisch schlechter ausgestattet. Gut die Hälfte dieser Frauen bekommt von ihrem Arbeitgeber*innen keine digitalen Endgeräte gestellt. Im Vergleich trifft das nur auf ein Fünftel der Männer zu. Entsprechend geringer ist der Anteil an Frauen, die Homeoffice nutzen können.

Außerdem arbeiten Frauen deutlich häufiger als Männer in Räumlichkeiten, die von der Familie üblicherweise gemeinsam genutzt werden (z.B. Küche, Wohnzimmer).

Frauen, insbesondere Mütter, leisten im Vergleich zu Männern nach wie vor den Großteil der unbezahlten Sorgearbeit (Gender Care Gap). Studien zu den Auswirkungen der Pandemie auf das Geschlechterverhältnis in der Sorgearbeit belegen unter dem Stichwort Retraditionalisierung, dass sich diese Sorgelücke zwischen Männern und Frauen in der Pandemie vergrößert hat. So verlagert sich gerade im Homeoffice die Aufteilung der unbezahlten Sorgearbeit innerhalb der Partnerschaft noch weiter zulasten von Frauen, wie schon der Dritte Gleichstellungsbericht der Bundesregierung belegte. Danach weiten Frauen im Homeoffice ihre unbezahlte Sorgearbeit erheblich mehr aus als Männer. Frauen investieren die gewonnene Zeit in Familienarbeit, Männer hingegen in ihren Job und damit nicht selten in ihre Karriere inklusive Einkommenszuwachs. In der Folge erhöht sich der Anteil, den Frauen an der gesamten Sorgearbeit innerhalb eines heterosexuellen Paarhaushalts leisten (Gender Care Share). Außerdem werden Frauen und ihre Arbeitsleistung, die zugunsten von Vereinbarkeit mobil erwerbstätig sind, in Betrieben und Dienststellen weniger wahrgenommen. In einer auf Präsenz ausgerichteten Arbeitswelt erschwert das besonders Frauen den Aufstieg. Mobiles Arbeiten darf auf Dauer weder zu einer Sorgearbeits- noch zu einer Karrierefalle werden.

Werden die Grenzen zwischen Haushalt, Beruf und Familienpflichten fließend, steigen psychische Belastungsfaktoren und erhöhen das Krankheits- und Burn-Out Risiko vor allem bei Frauen, besonders wenn sie nicht über einen eigenen Arbeitsplatz in einem abgetrennten Raum verfügen. Dazu kommen Stress und Entgrenzung durch zeitliche Verlagerung der Arbeit in die frühen Morgen- und die späten Abendstunden, Entgrenzung von beruflichen und privaten Verpflichtungen und die Erwartung an ständige Erreichbarkeit.

Damit Mobiles Arbeiten und Homeoffice zum Erfolgsmodell für alle werden, bedarf es guter gesetzlicher und betrieblicher Rahmenbedingungen. Für Frauen mit Sorgeverantwortung ist das besonders wichtig. Mobiles Arbeiten und Homeoffice sind grundsätzlich mit der Betreuung von Kindern im Alter von bis zu 12 Jahren nicht vereinbar. Vereinbarkeit sicherzustellen bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, für die eine Reihe von Veränderungen notwendig sind. Geschlechterstereotype in der Arbeitsteilung und das im Sozial- und Steuerrecht tief verankerte männliche Ernährermodell müssen abgebaut, familienfreundliche, lebensphasenorientierte Arbeitszeitmodelle für beide Geschlechter ausgebaut werden. Staatliche (Steuer-) Anreize, die eine klassische Rollenverteilung begünstigen, müssen reformiert und öffentliche Betreuungs- und Pflegeangebote bedarfsgerecht ausgebaut werden. Dafür ist Homeoffice kein Ersatz. Männer müssen stärker als bisher in Verantwortung für die Übernahme der anfallenden Sorgearbeit gehen und genommen werden. Denn je mehr Sorgearbeit Frauen dauerhaft übernehmen, desto weniger können sie einer Erwerbsarbeit nachgehen. Individuelle Abhängigkeiten, geringe Rentenanwartschaften und Armut sind die Folgen. Der Gesetzgeber will die Erwerbstätigkeit von Frauen erklärtermaßen steigern. Damit das gelingen kann, muss er die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen und Männer für Sorgearbeit gewinnen.

Der Deutsche Frauenrat fordert,

  • einen gesetzlichen Rechtsanspruch auf selbstbestimmtes mobiles Arbeiten zu schaffen, der durch Tarifverträge und Mitbestimmung in Betrieben und Verwaltungen auszugestalten ist.
  • Arbeitsschutz und Gesundheitsschutz auch im Mobilen Arbeiten zu gewährleisten insbesondere bei der Arbeitsplatzausstattung und die strikte Einhaltung und Kontrolle der gesetzlichen Vorgaben zu täglichen Höchstarbeitszeiten sowie zu Ruhezeiten nach dem Arbeitszeitgesetz durchzusetzen und mit einem objektiv verlässlichen System zu erfassen.
  • Betriebe, Dienststellen zu verpflichten, Frauen und Männer gleichermaßen mit den notwendigen technischen Arbeitsmitteln auszustatten und einen entsprechenden Aufwendungsersatz zu leisten. Insoweit und solange der Arbeitgeber/ Dienstherr nicht zur Übernahme aller entstehenden Kosten für das Arbeiten zu Hause verpflichtet ist, müssen Lohnsteuerpflichtige alle anfallenden Werbungskosten unbürokratisch – z.B. durch ausreichend bemessene Pauschalen – geltend machen können.
  • Arbeitgeber*innen zu verpflichten, Gesundheitsrisiken aufgrund entgrenzten Arbeitens im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht individuell entgegenzuwirken und klare Vorgaben für die Nicht-Erreichbarkeit der Beschäftigten zu formulieren. Für den Fall der Missachtung durch Arbeitgeber*innen sind Sanktionsmöglichkeiten zu schaffen. Weiterbildungen zu Grenzmanagement können Führungskräften und Beschäftigten helfen, Grenzen zwischen Erwerbs- und Sorgearbeit zu setzen.
  • Betriebe und Dienststellen müssen zur systematischen Auseinandersetzung mit „Lebensphasenorientierten Arbeitszeiten“ verpflichtet werden und Beschäftigten das Recht einräumen, Umfang, Dauer und Verteilung ihrer vertraglichen Arbeitszeit zu verändern sowie ihren Arbeitsort zu wählen, sofern keine dringenden betrieblichen oder dienstlichen Gründe entgegenstehen. Beschäftigten muss eine flexible Gestaltung der täglichen Arbeitszeit entsprechend ihrer individuellen Lebenssituation ermöglicht werden.
  • Barrierefreiheit und ausreichende Schulungen für den Umgang mit mobilen Endgeräten sowie Datenschutz und Datensicherheit im mobilen Arbeiten sicherzustellen.
  • Arbeitnehmer*innen vor Diskriminierung zu schützen. Grundlage für die Beurteilung individueller Leistung darf nicht die physische Anwesenheit im Betrieb sein, auch um Nachteile auf die Karrierechancen von Mitarbeitenden im Homeoffice vorzubeugen.
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