Mit gleichstellungspolitischer Verantwortung Zukunft gestalten
In Zeiten politischer und wirtschaftlicher Krisen hat die Koalition aus CDU, CSU und SPD einen Koalitionsvertrag verhandelt, der in der Präambel die tatsächliche Gleichstellung von Frauen zu einem zentralen Anliegen erklärt. Es ist ein Erfolg des Deutschen Frauenrats (DF) und der frauenpolitischen Zivilgesellschaft, dass die neue Bundesregierung damit ihre gleichstellungspolitische Verantwortung als eine Leitlinie für kommende Regierungsarbeit festschreibt. Wir wissen: Ohne Frauen wird der notwendige Wandel nicht gelingen. Geschlechtergerechtigkeit kann nicht auf bessere Zeiten warten – sie ist eine zentrale Antwort auf die Krisen unserer Zeit und das Mittel, um das Leben von Frauen – und allen Menschen – in diesem Land entscheidend zu verbessern. Die in der Präambel postulierte Haltung mündet in einige konkrete Vorhaben, insbesondere wenn es um Partnerschaftlichkeit und Gewaltschutz geht. Ein gleichstellungspolitischer roter Faden fehlt jedoch.
Mit seinen Forderungen zur Bundestagswahl 2025 benennt der Deutsche Frauenrat gleichstellungspolitische Maßnahmen in zehn Politikfeldern zur Stärkung von Frauenrechten. Auf Grundlage der Wahlforderungen zeigt die Auswertung des Koalitionsvertrags, welche von den Regierungsparteien aufgegriffen werden und welche offen bleiben. Zusammen mit seinen Mitgliedsorganisationen und Verbündeten wird der Deutsche Frauenrat die neue Bundesregierung von Anfang an daran messen, wie sie Gleichstellung priorisiert und die im Koalitionsvertrag gesetzten gleichstellungspolitischen Ziele zügig in Maßnahmen übersetzt.
Gleichstellung als Leitprinzip benannt, nicht verankert
Wer Demokratie stärken will, muss Gleichstellung gestalten. Der DF begrüßt die Fortführung der ressortübergreifenden Gleichstellungsstrategie im Koalitionsvertrag der künftigen Regierung als ein wichtiges Signal. Umso enttäuschender, dass zentrale Gleichstellungsinstrumente wie Gender Budgeting und Gesetzesfolgenabschätzung fehlen.
Auch gesetzliche Vorhaben zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen an der Politik bleiben eine Leerstelle im Koalitionsvertrag. Dass das Bundeskabinett am Ende beinahe paritätisch wurde, ist einer starken Stimme der Frauen zu verdanken. Der gesunkene Frauenanteil im Deutschen Bundestag auf nur 32,4 Prozent macht aber einmal mehr deutlich, warum ein Paritätsgesetz umso schneller kommen muss.
Finanzielle Spielräume noch nicht gleichstellungsorientiert genutzt
Dank der finanziellen Spielräume durch das Sondervermögen für Infrastruktur hat die Bundesregierung die historische Chance, die Zukunft geschlechtergerecht zu gestalten. Es ist ein positives Signal, dass die vereinbarte Modernisierung der Infrastruktur neben Bahnen und Brücken, auch Kitas und Schulen in den Blick nimmt. Eine konsistent gleichstellungsorientiert geplante Nutzung der neuen finanziellen Möglichkeiten lässt sich im Koalitionsvertrag allerdings nicht erkennen. Der DF wird hier auf deutliche Nachbesserungen drängen.
Gemischte Bilanz bei der Stärkung ökonomischer Eigenständigkeit
Den sichtbaren politischen Willen der künftigen Regierungspartner die Vereinbarkeit von Erwerbs- und Sorgearbeit voranzutreiben und Entgeltgleichheit herbeizuführen, unterstützt der DF ausdrücklich. Nun kommt es darauf an, Vorhaben wie die partnerschaftliche Weiterentwicklung des Elterngelds, Verbesserungen für die Vereinbarkeit pflegender Angehöriger und die Umsetzung der Entgelttransparenzrichtlinie tatsächlich zu verwirklichen. Die geplante Abschaffung des 8-Stunden-Tags weisen genau wie steuerliche Anreize für Überstunden in die falsche Richtung und drohen Geschlechterungleichheiten bei der Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit zu verschärfen.
Auch strukturelle Hürden für die Erwerbsteilhabe von Frauen, wie das Ehegattensplitting oder die Minijobs, bleiben unangetastet. Will man die ökonomische Eigenständigkeit von Frauen tatsächlich stärken, müssen diese zeitnah angegangen werden.
Wichtige Vorhaben gegen Gewalt und für geschlechtergerechte Gesundheit
Es ist gut, dass die Koalitionspartner die Umsetzung der Istanbul-Konvention und der EU-Gewaltschutzrichtlinie als zentrale Leitlinien für einen starken Gewaltschutz festschreiben. Wichtige Vorhaben, wie das digitale Gewaltschutzgesetz, sollten durch eine gestärkte Koordinierungsstelle und einen ambitionierten Aktionsplan zügig vorangetrieben werden. Der DF macht sich weiter dafür stark, dass alle betroffenen Frauen Schutz und Unterstützung erhalten und fordert, Lücken im Gewaltschutz für migrantische Frauen sowie trans und nicht-binäre Personen zu schließen.
Die vereinbarte Zielsetzung einer geschlechter- und diversitätssensiblen Gesundheitsversorgung und -forschung ist sehr zu begrüßen. Das Ziel einer flächendeckenden Versorgung in der Geburtshilfe bewertet der DF positiv, jedoch fehlen konkrete Maßnahmen für eine qualitativ hochwertige Versorgung während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. Um die Gesundheitsversorgung ungewollt Schwangerer sicherzustellen, muss aus Sicht des DF und der großen gesellschaftlichen Mehrheit eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuchs kommen.
Deutscher Frauenrat: konstruktiv, kritisch und lautstark
Sorge bereitet dem DF die restriktive Asyl- und Migrationspolitik, die u.a. die Aussetzung des Familiennachzugs vorsieht, der für Geflüchtete mit subsidiärem Schutz komplett wegfallen soll. Dies trifft in erster Linie Frauen und ihre Kinder und macht Fluchtwege für sie noch unsicherer. In Zeiten menschenverachtender Debatten bestärken wir unsere Forderung nach einer geschlechtersensiblen und ressourcenstarken Gestaltung der Migrationsgesellschaft.
Auch an anderer Stelle verzeichnet der Koalitionsvertrag Rückschritte: Nicht nur der Begriff, sondern auch Haltung und Erkenntnisse der feministischen Außen- und Entwicklungspolitik fehlen. Gerade in Zeiten geopolitischer Umbrüche müssen die Einhaltung von Frauen-, Menschen- und Völkerrecht für Sicherheits- und Verteidigungspolitik handlungsleitend sein und die Prävention von Konflikten Priorität behalten.