
Am 1. November 2024 trat das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) in Kraft – ein Meilenstein für trans*, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen (TIN*) in Deutschland. Es beendete nach Jahrzehnten das diskriminierende “Transsexuellengesetz” (TSG). Zum ersten Mal können Menschen ihren Geschlechtseintrag und Namen selbstbestimmt ändern – ohne pathologisierende Verfahren und entwürdigende Zwangsbegutachtungen. Ein Jahr nach Inkrafttreten zeigt sich jedoch: Das Selbstbestimmungsgesetz ist zwar ein wichtiger Fortschritt, jedoch nicht das Ende der Arbeit für echte Selbstbestimmung.
So ist der Zugang zum Gesetz eingeschränkt: Nur Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit oder unbefristetem bzw. verlängerbarem Aufenthaltstitel können die Regelung nutzen. Hinzu kommen Anmelde- und Sperrfristen, die trans*, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen implizit unterstellen, sich ihrer Entscheidung nicht sicher zu sein. Auch Sonderregelungen im Spannungs- oder Verteidigungsfall zeigen, dass geschlechtliche Selbstbestimmung noch immer nicht bedingungslos anerkannt wird. Echte Gleichberechtigung bedeutet, dass alle Menschen die gleichen Rechte auf Anerkennung und Würde haben – unabhängig von Herkunft, Pass oder Lebenssituation. Das SBGG war ein notwendiger Schritt, aber kein abschließender. Ein Jahr nach seiner Einführung ist klar: Dieses Gesetz muss weiterentwickelt werden – hin zu einer rechtlichen Realität, die geschlechtliche Vielfalt ohne Einschränkungen respektiert, schützt und stärkt.
Erschwerend kommt hinzu, dass in der politischen Debatte rund um das Gesetz wiederholt ein vermeintlicher Konflikt zwischen Selbstbestimmung und dem Schutz von Frauen und Kindern konstruiert wurde. Diese Narrative haben Eingang in den Gesetzgebungsprozess gefunden, obwohl es in keinem der 16 Länder weltweit, die seit 2012 Selbstbestimmungsgesetze umgesetzt haben, zu entsprechenden systematischen Problemen gekommen ist. Im Koalitionsvertrag wurde festgehalten, das Gesetz verfrüht bis zum 31. Juli 2026 mit Fokus auf Frauen und Kinder zu evaluieren. Diese Schwerpunktsetzung orientiert sich stark an der gesellschaftlich polarisierten Debatte, in der das Selbstbestimmungsgesetz fälschlicherweise als Risiko für Frauen oder Kinder dargestellt wurde. Eine Evaluation muss sich jedoch an den Menschenrechten und Grundfreiheiten orientieren, die dem Gesetz zugrunde liegen, wie auch im Gesetz selbst als Ziel der Evaluierung nach fünf Jahren festgelegt. Nur so kann sie dazu beitragen, bestehende Schwachstellen zu benennen und zukünftige Weiterentwicklungen im Sinne echter Selbstbestimmung zu gestalten.
Zugleich lässt sich nach einem Jahr Selbstbestimmungsgesetz sagen:
Trotz aller Kritik bleibt festzuhalten: Das Selbstbestimmungsgesetz hat einen diskriminierenden Zustand beendet und erstmals gesetzlich den Grundsatz verankert, dass jeder Mensch über den eigenen Geschlechtseintrag nur selbst bestimmen kann. Das Selbstbestimmungsgesetz stärkt damit nicht nur trans*, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen – es stärkt uns alle.
Zusätzlich erklärt BDKJ-Bundesvorsitzende Daniela Hottenbacher:
“Das SBGG steht für Selbstbestimmung volljähriger Menschen. Echte Selbstbestimmung muss jedoch auch für Kinder und Jugendliche gelten, unabhängig von der Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter*innen oder gerichtlicher Entscheidungen. Darüber hinaus kann das Signal, dass das Selbstbestimmungsgesetz an die Gesellschaft sendet, nur dann zu einer gelungenen demokratischen Zukunft beitragen, wenn alle Menschen in ihrer Identität gesehen und anerkannt werden.“
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