Der Europarat hat in einem Gutachten Deutschland gravierende Defizite bei der Umsetzung der Istanbul-Konvention bescheinigt. Der Deutsche Frauenrat bemängelt seit Jahren große Lücken beim Schutz von Frauen und Mädchen vor geschlechtsspezifischer Gewalt und fordert die Bundesregierung erneut auf, dem flächendeckenden Zugang zu Schutzräumen endlich Priorität einzuräumen.
„Auch fünf Jahre nach Inkrafttreten der Istanbul-Konvention finden gewaltbetroffene Frauen nicht verlässlich Schutz in Deutschland. Die Bundesregierung muss das Gutachten zum Anlass nehmen, ihre Anstrengungen für einen flächendeckenden Zugang zu Schutzräumen zu verstärken. Gewaltfreiheit ist Voraussetzung für jede Form gesellschaftlicher Teilhabe. Sie braucht ein starkes Fundament aus Institutionen, Ressourcen und politischer Strategie für Gewaltprävention,“ kritisiert die Geschäftsführerin des Deutschen Frauenrats, Dr. Anja Nordmann.
So fehlen in Deutschland entgegen den Vorgaben der Konvention noch immer eine Gesamtstrategie gegen Gewalt sowie eine staatliche Koordinierungsstelle, die die Umsetzung der Istanbul-Konvention auf Bund-, Länder- und kommunaler Ebene sicherstellt. Auch in Bezug auf Justiz und Polizei sehen die Expert*innen weiterhin großen Handlungsbedarf. Vor Gericht blieben Sicherheitsbedenken von Müttern zu oft unberücksichtigt, sodass gewalttätige Väter Besuchs- und Sorgerecht zugeteilt bekämen. Der Europarat bemängelt auch den Schutz von geflüchteten Frauen und Frauen mit Behinderung als unzureichend.
Positiv wird dagegen hervorgehoben, dass Deutschland bereits vor Inkrafttreten der Konvention Gesetze wie das Gewaltschutzgesetz und die Reform des Sexualstrafrechts auf den Weg gebracht hat. Auch Maßnahmen gegen digitale Gewalt finden Lob.
„Die Frauenbewegung hat für den Gewaltschutz in Deutschland viel erreicht: Sie hat geschlechtsspezifische Gewalt enttabuisiert, Schutzräume geschaffen und Gesetzesänderungen durchgesetzt. Doch diese starken Erfolge stehen weiterhin auf wackeligem Grund. Wenn weiterhin jeden dritten Tag eine Frau durch ihren Ex oder Partner getötet wird, müssen wir handeln,“ so Nordmann weiter.
Die Istanbul-Konvention als wichtigste internationale Gewaltschutzkonvention regelt, dass Gewalt gegen Frauen und Mädchen sowie häusliche Gewalt effektiv verhindert, bekämpft und verfolgt werden muss. Sie ist in Deutschland seit 2018 geltendes Recht. Fünf Jahre nach Inkrafttreten legt die Expert*innenkommission des Europarats (GREVIO) nun Artikel für Artikel dar, was zu tun ist, damit die Bundesregierung ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen aus der Konvention erfüllt.
Die Ampelkoalition hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt und will die Konvention in Zukunft ohne Vorbehalte umsetzen. Der DF steht gemeinsam mit dem Bündnis Istanbul-Konvention bereit, diesen Prozess zu begleiten und die Vision der Konvention zu verwirklichen.
Alternativbericht des Bündnisses Istanbul-Konvention