Josefine Paul, Mitglied des Vorstands des Deutschen Frauenrats stehend mit verschränkten Armen.

Demokratie-Empowerment heisst für mich: Die Zivilgesellschaft zu stärken

Aktuelles | 15. September 2020

Die demokratische (Alltags-)Kultur, Menschenrechte und Gleichstellungspolitik stehen seit Jahren unter Druck. Autoritäre, neurechte und menschenfeindliche Ideologien und Bewegungen gewinnen an Bedeutung – ihr Türöffner und Verstärker ist der Antifeminismus.

Diese beunruhigenden Entwicklungen machen auch vor dem Deutschen Frauenrat und seinen Mitgliedsverbänden nicht Halt. Um abzubilden, wie Antifeminismus den Arbeitsalltag in Frauenorganisationen beeinflusst und verändert, hat der DF die Amadeu Antonio Stiftung mit der Erstellung einer Expertise  beauftragt. Diese Expertise werden wir in Kürze unter dem Titel „Auswirkungen von Antifeminismus auf Frauenverbände – Demokratie-Empowerment als Gegenstrategie“ veröffentlichen. Darin werden konkrete Effekte antifeministischer und antidemokratischer Ideologien und Strategien auf die DF-Mitgliedsverbände beleuchtet und wirksame Gegenstrategien und Ideen für ein Demokratie-Empowerment aus der Praxisperspektive präsentiert.

Anlässlich des Tags der Demokratie am 15.9.2020 veröffentlichen wir das Interview mit unserem Vorstandsmitglied Josefine Paul, das im Rahmen der Expertise entstanden ist.

Josefine Paul ist seit 2019 Leiterin des DF-Fachausschusses ‚Demokratie unter Druck – Krisenanalyse und Demokratie-Empowerment‘. Die Historikerin und Hobby-Fußballerin ist seit 2010 Mitglied der Fraktion von Bündnis 90/DIE GRÜNEN im Landtag von Nordrhein-Westfalen und deren Sprecherin für Kinder, Jugend, Familie und Sport sowie Frauen- und LGBTIQ-Rechte. Sie ist über den Bundesfrauenrat von Bündnis 90/DIE GRÜNEN Mitglied des DF und gehört jenem Präsidium an.

 


Amadeu Antonio Stiftung: Der DF hat sich entschieden, sich in einem der Fachausschüsse mit dem Thema Antifeminismus zu beschäftigen. Warum?

Josefine Paul: Mitgliedsverbände des DF können Anträge für Schwerpunktthemen stellen, zu denen dann Fachausschüsse benannt werden. In einem gemeinsamen Antrag mehrerer Mitgliedsverbände gab es den Auftrag an den DF sich mit dem Thema Demokratie zu befassen. Denn wir merken alle, dass die Demokratie unter Druck gerät und dass das auch immer etwas mit Antifeminismus zu tun hat. Der Fachausschuss hat sich entschieden, die Erfahrungen unserer Mitgliedsverbände ins Zentrum zu rücken: Macht diese Diskursverschiebung etwas mit unseren Mitgliedsverbänden? Merken die das schon? Wie sieht es auf Bundesebene aus, wie vor Ort? Darüber wollten wir mehr wissen.

Was ist Ihnen persönlich an dem Thema wichtig?

Mir ist wichtig, deutlich zu machen, dass jeder Rechtsruck auch etwas Antifeministisches hat. Das ist einerseits zu bemerken, wenn im parlamentarischen Raum immer wieder Gleichstellungsinstitutionen infrage gestellt werden. Wenn infrage gestellt wird, ob Gender überhaupt wissenschaftlich ist und wissenschaftlichen Kriterien entspricht. Das ist andererseits daran zu bemerken, wie massiv die Frage nach dem Schutz von Frauen genutzt wird, um Anschlussfähigkeit zu generieren und Frauen in Stellung gegen Minderheitengruppen zu bringen. Stichwort Köln, Stichwort ‚Wir müssen unsere Frauen schützen vor den bösen Ausländern‘.

Wie zeigt sich Antifeminismus auf der parlamentarischen Ebene?

Er zeigt sich dadurch, dass Antifeministen im Parlament sitzen. Sie verschieben die Grenzen des Sagbaren. Auch diejenigen haben Rederecht, die hemmungslos offen frauenfeindliche, homo-, inter*- und trans*feindliche Positionen vertreten. Er zeigt sich aber auch an den parlamentarischen Anträgen und Initiativen, die von Seiten der AfD kommen, zum Beispiel, wenn aus Gleichstellungsgesetzen die geschlechtergerechte Sprache rausgestrichen werden soll. Oder wenn über Kleine Anfragen immer wieder Projekte ins Visier genommen werden. Das macht natürlich etwas mit dem parlamentarischen Raum, das macht aber auch etwas mit der Verwaltung, die damit umgehen muss. Und das macht etwas mit den Initiativen, die sich im Visier wähnen und die Befürchtung haben müssen: Wie lange hält eigentlich dieser Schutz, den wir durch die demokratischen Fraktionen und durch die Ministerien genießen? Wird der irgendwann brüchig? Knicken die ein vor diesem Dauerfeuer?

Unsere Interviewpartnerinnen haben eine Normalisierung antifeministischer Positionen wahrgenommen, gleichzeitig geben sie an, auf Verbandsebene keine antifeministischen Anfeindungen zu erleben – das geschieht eher bei den Akteur*innen in der Praxis vor Ort. Können Sie sich erklären, warum das so ist?

Da gibt es mehrere mögliche Antworten. Es gibt Verbandsstrukturen, die eher kleiner sind und weniger exponiert sind, sodass sie weniger sichtbar sind und öffentlich wahrgenommen werden. Aus Perspektive der Rechten wären sie es sozusagen nicht wert, ständig angefeindet zu werden. Hinzu kommt eine schleichende Normalisierung von Anfeindungen. Das empfindet meines Erachtens jede Frau unterschiedlich, wo ihre individuellen Grenzen erreicht sind. Der dritte Punkt ist, dass es im Deutschen Frauenrat sehr unterschiedliche Organisationen mit verschiedenen Ausrichtungen gibt. Manche sind eher emanzipatorisch links orientiert, die haben natürlich mit mehr Angriffen zu tun, andere Verbände sind eher konservativ ausgerichtet und werden auch deswegen seltener angefeindet.

Häufig wird Antifeminismus und Demokratie gar nicht zusammengedacht. Woran liegt das und was haben Antifeminismus und Demokratie dennoch miteinander zu tun?

Auch innerhalb der frauen- und gleichstellungspolitischen Arbeit haben wir unterschiedliche Haltungen, zum Beispiel zur Frage des Kopftuchs, zur Frage der Prostitution. Diese Unterschiede werden bewusst von Rechten instrumentalisiert, um Anschlussfähigkeiten zu generieren. Wir können über Dinge streiten, keine Frage, aber wir müssen im Hinterkopf haben, dass das ein Einfallstor ist. Rechtsextreme haben als Taktik herausgefunden: Du kannst das ‚bürgerliche Lager‘ spalten, indem du fragst: ‚aber müssen wir Frauen nicht mehr beschützen?‘ ‚Reicht das jetzt nicht mal mit der Emanzipation?‘. Es gibt eine konservative Schicht, der ich keine per se antidemokratischen Tendenzen unterstellen würde, die aber ganz ähnlich argumentiert, nach dem Motto: ‚Wenn ich nicht den ganzen Gleichstellungswahnsinn teile, bin ich ja noch lange nicht rechts oder antidemokratisch!‘. Das ist eine Gefahr, die viel schleichender ist, weil diese antifeministischen Positionen ein hohes Maß an Anschlussfähigkeit haben bis in die konservative Mitte der Gesellschaft.

Was brauchen wir, um dem entgegenwirken zu können?

Wir müssen uns darauf besinnen, was im Grundgesetz steht. Artikel 3 Absatz 2 ist nicht ein ‚nice to have‘, sondern gehört zu den Grundrechtsgrundsätzen unserer Verfassung und ist ein Grundpfeiler unserer Demokratie. Es geht da nicht darum, dass Frauen eine Gruppe sind, sondern dass die Diskriminierung von Frauen eine Strukturierung unserer Gesellschaft darstellt. Und wenn strukturell ein Teil der Gesellschaft ausgeschlossen wird, beziehungsweise deren Gleichberechtigung immer wieder in Zweifel gezogen wird, dann ist das demokratiegefährdend.

Welche Konsequenzen muss die Politik jetzt ziehen?

Wir müssen die Gesetze, die wir haben, weiter stärken und gegen Angriffe schützen. Ich denke da an die Landesgleichstellungsgesetze, das Bundesgleichstellungsgesetz, auch das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Wir müssen dem strukturellen und verwaltungstechnischen Arm der Gleichstellungspolitik ebenso den Rücken stärken wie Organisationen, die zivilgesellschaftlich zu diesen Themen arbeiten. Da sind wir bei der Frage der Förderpolitik. Hier kommt die Politik ins Spiel: Sie muss die Zivilgesellschaft in ihrer Pluralität unterstützen und deutlich machen, dass eine plurale Demokratie nur dann funktionieren kann, wenn es die kleinen Player ebenso wie den großen Lobbyverband gibt – zum Beispiel den DF. Die Frage von Antidiskriminierung, aber eben auch von ‚Wie wollen wir eigentlich in einer pluralen Gesellschaft miteinander leben?‘ ist eine, die strukturell verankert sein muss.

In unseren Gesprächen mit den Mitgliedsverbänden kam immer wieder zur Sprache, dass Mehrfachdiskriminierungen in der gleichstellungspolitischen Arbeit mehr berücksichtigt werden müssen. Was kann der DF da tun?

Wir als Fachausschuss sollten uns noch einmal gezielt fragen: ‚Wo stehen wir als DF eigentlich?‘, und: ,Wer ist bei uns Mitglied – gemessen an der Pluralität und Diversität der Frauen in dieser Gesellschaft?‘. Wir haben festgestellt, dass sich im DF vor allem Frauen engagieren, die z.B. eher einen Hochschulabschluss haben, weiß und eher mittleren Alters sind und schon viel Erfahrung in gleichstellungspolitischen Arbeitsfeldern mitbringen. Es wäre schön, wenn wir uns da überlegen, ‚wie können wir uns öffnen?‘.

Demokratie-Empowerment ist eine zentrale Säule des Fachausschusses. Was bedeutet Demokratie-Empowerment für Sie?

Demokratie-Empowerment heißt für mich: Die Zivilgesellschaft weiterhin zu stärken. Und zur Zivilgesellschaft gehört zum Beispiel auch das Ehrenamt. Gerade viele Frauenverbände, Vereine und auch große Teile des DF funktionieren auf ehrenamtlicher Basis. Demokratie-Empowerment bedeutet daher unter anderem, die Menschen im Ehrenamt zu stärken –  möglicherweise im Umgang mit Angriffen, aber zusätzlich im Sinne von ‚Wie kann ich eigentlich deutlich machen, warum die Arbeit, die ich mache, so wichtig ist?‘ ‚Wie kann ich vermitteln, dass es uns braucht – weil ohne Gleichstellung keine Demokratie?‘. Um das zu tun brauchen wir natürlich das Rüstzeug und da müssen wir unterstützen. Für uns als Dachorganisation heißt Demokratie-Empowerment zusätzlich, dass wir die Fragen von Intersektionalität und Diversität mehr berücksichtigen und unsere eigenen Strukturen hinterfragen und weiterentwickeln müssen.


Das Interview ist ein Auszug aus der neuen DF-Publikation „Auswirkungen von Antifeminismus auf Frauenverbände – Demokratie-Empowerment als Gegenstratgie“ , die in Kürze erscheinen wird und hier und auf unserer Publikationsseite abgerufen werden kann.

 

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