„Wir wollten in diesen Tagen eigentlich gemeinsam mit allen Frauen Europas feiern, doch nach Feiern ist uns heute nicht wirklich zu Mute“, eröffnete die Vorsitzende des Deutschen Frauenrats, Mona Küppers, die DF-Veranstaltung „Zehn Jahre Istanbul-Konvention – Wo stehen wir? Wohin gehen wir?“, die am 10. Mai digital stattfand. Die Stimmung trübt der Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention, kurz vor dem Jubiläum. In ihrer Begrüßungsrede appellierte Küppers an Bundesregierung und EU, der Austritt müsse Konsequenzen haben und das Gewaltschutzabkommen des Europarats endlich auch durch die EU selbst ratifiziert werden.
Ursula von der Leyen, Präsidentin der EU-Kommission, verwies in ihrem Statement auf die kritische Lage von Frauenrechten weltweit und die besondere Bedeutung der Istanbul-Konvention als Meilenstein im Kampf um Frauenrechte. Der Austritt eines der Gründungsmitglieder der Konvention sei ein schreckliches Signal und die Nichtratifizierung einiger EU-Mitgliedstaaten völlig inakzeptabel.
In der folgenden Diskussionsrunde wurden die Angriffe auf die Konvention und der Gewaltschutz in Europa thematisiert. Dazu bezeichnete Aslihan Tekin, Vertreterin der Europäischen Frauenlobby aus der Türkei, den türkischen Austritt als Höhepunkt eines inakzeptablen Angriffs auf Menschenrechte, Frauenrechte sowie der Rechte von LGBTIQ.
Im Anschluss rief Michael Roth, Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, die anderen Mitgliedstaaten dazu auf, die Konvention zu ratifizieren und so ein klares Zeichen zu setzen. Die Strategie von Nationalisten und Populisten, die Istanbul-Konvention als einen Angriff auf traditionelle Werte zu verunglimpfen, müsse angegangen werden. Christine Schneider, Mitglied des FEMM-Ausschusses im Europäischen Parlament, versicherte, das Parlament werde alles unternehmen, um die Ratifizierung der Istanbul-Konvention durch die EU zu erreichen. Für die EU-Kommission wiederholte Lesia Radelicki, Kabinettsmitglied der EU-Gleichstellungskommissarin Helena Dalli, die Forderung, dass die Blockadehaltung einiger Mitgliedstaaten gegen eine Ratifizierung dringend aufgegeben werden müsse. Sollte das Gewaltschutzabkommen weiterhin blockiert bleiben, plane die Kommission eine an die Istanbul-Konvention angelehnte Richtlinie auf EU-Ebene. Lisi Maier, stellvertretende Vorsitzende des DF, kritisierte die in einigen osteuropäischen Mitgliedstaaten herrschende Stimmungsmache gegen die Istanbul-Konvention als Teil einer regelrechten Kampagne gegen Geschlechtergleichstellung, Frauenrechte, soziale Gerechtigkeit, aber besonders gegen Demokratie und Rechtstaatlichkeit.
Die Teilnehmerinnen der zweiten Diskussionsrunde legten den Fokus auf Herausforderungen und Erfolge bei der Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland. Juliane Seifert, Staatssekretärin im BMFSFJ, verwies auf die besondere Bedeutung der Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen am „Runden Tisch“. Mit der Einrichtung einer Berichterstattungsstelle sollen permanente Strukturen und Transparenz geschaffen und daneben soll die Qualifizierung von Polizei, Justiz, Jugendämtern und Gesundheitswesen ausgebaut werden.
Dr. Delal Atmaca, Bündnisrätin im Bündnis Istanbul-Konvention und Geschäftsführerin des Dachverbands der Migrantinnenorganisationen, betonte die Bedeutung einer politischen Gesamtstrategie für Gewaltbekämpfung unter Einbezug der Zivilgesellschaft. Besonders für Menschen mit Migrationsgeschichte oder Menschen, die als solche gelesen würden, wirkten die Maßnahmen nicht gleichermaßen. Dem schloss sich Katja Grieger an, Geschäftsführerin Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe. Sie kritisierte, dass in Deutschland nicht jede von Gewalt betroffene Frau Unterstützung findet. Diese sei jedoch von großer Dringlichkeit, um flächendeckenden Schutz zu gewährleisten. Asha Hedayati, Rechtsanwältin und Dozentin für Familienrecht, wies auf gravierende Lücken bei der Umsetzung der Istanbul-Konvention in die Praxis hin, wie beispielsweise im Umgangsrecht, das den Umgang eines Ex-Partners mit seinem Kind wichtiger erachtet, als den Schutz der Mutter vor Gewalt.
Die Teilnehmer*innen und der DF waren sich einig: Die Istanbul-Konvention muss gemeinsam geschützt und weiter umgesetzt werden, um Gewalt an Frauen und Mädchen europaweit zu beenden und Gleichstellung zu erreichen.