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4 Fragen an Dr. Anja Nordmann: Feministische Außenpolitik und internationale Zusammenarbeit mit Deutschland

Aktuelles | 23. Mai 2022

Vier Fragen, vier Antworten mit DF-Geschäftsführerin Dr. Anja Nordmann.

Warum sollte Deutschland eine feministische Außenpolitik verfolgen?

Außenministerin Annalena Baerbock hat feministische Außenpolitik als eine Politik „auf der Höhe der Zeit“ bezeichnet. In einer Zeit, in der Krisen und Kriege verdeutlichen, dass die alten Modelle ausgedient haben, kann ich ihr nur zustimmen. Es sollte im 21. Jahrhundert demokratischer Standard sein, dass die Perspektiven aller Geschlechter in Politik einfließen, dass alle die gleichen Möglichkeiten zur Beteiligung bekommen und dass wir diskriminierende Strukturen, die dem entgegenstehen, entschieden abbauen.

Feministische Politik analysiert global und lokal Machtverhältnisse und historisch entstandene Ungleichheit und will sie überwinden. Deshalb sprechen wir von einer transformativen Politik. Eine zentrale Diskriminierungsachse, die sich mit anderen überschneidet und verstärkt, ist dabei die patriarchale Gesellschaftsordnung mit ihren Geschlechterbildern. Auch in der Außenpolitik sind diese noch immer sehr wirkmächtig. Militärische Konflikte wurzeln oftmals in stereotyp-männlichen Machtansprüchen und Sicherheitsvorstellungen. Die feministische Perspektive ermöglicht uns, den Fokus von der staatlichen Sicherheit auszuweiten und auf die menschliche Sicherheit scharfzustellen.

Das klingt alles sehr abstrakt. Was muss die Bundesregierung konkret anders machen?

Vieles! Und allem muss eine feministische Herangehensweise zu Grunde liegen. Die Außenministerin hat erklärt, dass sie die Politik ihres Hauses an den 3R orientieren wird, also Rechte, Ressourcen und Repräsentation von Frauen und LGBTIQ-Personen. Jetzt geht es darum, feministisch auszubuchstabieren, was das bedeutet.

Blicken wir auf das erste R, den Schutz und die Förderung der Rechte von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen: Dabei kann es nur erfolgreich sein, wenn Politik kohärent ausgestaltet wird: Von der Klima- über die Handels- und Wirtschaftspolitik müssen alle Bereiche des Außenhandelns die Menschen- und Frauenrechte achten und fördern. UN-Menschenrechtspakte, CEDAW, ILO-Konventionen oder die Istanbul-Konvention müssen über die Ressorts hinweg handlungsleitend sein. Mit einer feministischen Außenpolitik darf es zum Beispiel keine Waffenlieferungen an frauen- und menschenrechtsverletzende Staaten wie Ägypten und Saudi-Arabien mehr geben. Oder – um eine Verknüpfung mit der Innenpolitik aufzuzeigen – die Förderung von Frauenrechten im Ausland muss mit der Anerkennung von geschlechtsspezifischen Asylgründen Hand in Hand gehen.

Das zweite R, die Repräsentation, fragt: Wer ist ausgeschlossen? Was muss sich aus Perspektive dieser Menschen ändern, damit sie wirksam teilhaben und Veränderung anstoßen können? Das ist ein spannender Prozess, in dem sich viele Antworten erst ergeben werden. Einige kennen wir schon und so setzt sich der Frauenrat seit vielen Jahren für Instrumente wie Quoten, Vereinbarkeitspolitiken und das Einbeziehen der Zivilgesellschaft des Globalen Südens ein.

Das dritte R steht für Ressourcen. Hier geht es zunächst darum, in den Haushalten von Auswärtigem Amt und BMZ die Frauenförderung durch konsequentes Gender Budgeting zu verankern. Wir fordern, dass alle Projekte der internationalen Zusammenarbeit zur Gleichstellung beitragen müssen und dass Frauenorganisationen langfristig finanziell gefördert werden. Aus internationaler feministischer Perspektive stellen sich aber auch Fragen nach Steuergerechtigkeit und Schuldenlast. Gleichstellungspolitik gibt es nicht umsonst. Ein weiterer bedeutender Teil geht – wie in Deutschland – durch Steuerflucht oder legale Steuervermeidung der höchsten Einkommensklassen verloren. Diese Gelder fehlen in Bildungs-, Pflege- oder Gesundheitssystemen, um Frauen und Mädchen zu stärken. Hier wird wieder deutlich, welchen Unterschied die feministische Perspektive macht.

Der Frauenrat fordert übrigens noch ein viertes R für Research, also Forschung, damit die politischen Maßnahmen in Zukunft auf soliden Daten beruhen und ihre Wirksamkeit überprüft werden kann.

Neben der Außenministerin will auch die Entwicklungsministerin eine feministische Entwicklungspolitik verfolgen. Was können wir uns darunter vorstellen?

Entwicklungsministerin Svenja Schulze will sich ebenfalls an den 3R orientieren. Die Herausforderungen habe ich eben beschrieben, aber ich möchte noch einmal die Analyse von Machtverhältnissen und damit die Repräsentation, im Sinne einer wirkungsvollen Teilhabe, hervorheben. Für feministische Entwicklungspolitik ist es zentral, dass Frauen, LGBTIQ-Personen und die von ihnen geführten Organisationen an Strategie und Umsetzung der Projekte beteiligt werden und ihre Bedarfe im Mittelpunkt stehen. Auf einer strukturellen Ebene muss der Zusammenarbeit insgesamt eine postkoloniale Perspektive zugrunde liegen. Das heißt, dass die Bundesregierung anerkennt, welche Mitverantwortung Deutschland und der globale Norden an Ausbeutung, Konflikten und der Klimakatastrophe trägt. Das wird die große Herausforderung, aber auch Chance: Wie können wir Entwicklungszusammenarbeit aus dieser Perspektive neu denken? Welche Prozesse, Formate der Projektarbeit und Finanzierungsinstrumente brauchen wir dafür? Zu einer Zusammenarbeit auf Augenhöhe gehört auch ein Verständnis davon, dass wir feministische Entwicklungsarbeit hier und dort leisten müssen. Ich freue mich, dass wir als Teil der deutschen Zivilgesellschaft an diesem Prozess mitwirken können.

In Europa herrscht wieder Krieg. Viele außenpolitische Gewissheiten mussten wir in den letzten Monaten über Bord werfen. Welche Antworten kann feministische Außenpolitik jetzt noch geben?

Der russische Angriffskrieg hat eine Situation geschaffen, in der zwischen verschiedenen falschen Handlungsoptionen entschieden werden muss. Aus diesem Dilemma kann sich auch feministische Außenpolitik nicht befreien. Selbstverteidigung und Solidarität gehören genauso zur feministischen DNA wie die pazifistische Frauenbewegung. Alle wirtschaftlichen Mittel auszuschöpfen, um Druck auf Russland auszuüben, bleibt deshalb wichtig.

Ein feministischer Grundsatz ist aber auch, den Betroffenen zuzuhören und ihre Botschaften ernst zu nehmen. Wir nehmen wahr, dass ukrainische Frauen den Krieg unbedingt gewinnen wollen und dafür um Unterstützung bitten, aber auch, dass sie dringend humanitäre Hilfe, wie Nahrungsmittel, medizinische Güter und finanzielle Unterstützung für die Versorgung der im Land Vertriebenen benötigen. Kriegsverbrechen gegen Frauen müssen verfolgt und geahndet werden und Frauen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben, Zugang zu medizinischer und psychosozialer Versorgung und legaler Abtreibung erhalten. Ukrainische Frauen sind wichtige politische Akteurinnen und müssen als solche wahrgenommen und eingebunden werden – in aktuelle Verhandlungen, in einen späteren inklusiven Friedensprozess und in den Wiederaufbau.

Wenn wir zurück auf Deutschland blicken, ist aus feministischer Perspektive klar, dass Aufrüstung und Militarisierung unserer Außenpolitik nicht die Antwort auf diesen Krieg sein dürfen. Mehr Waffen begünstigen mehr militärische Auseinandersetzungen. Kriege bedeuten immer grausame Gewalttaten und Menschenrechtsverletzungen. Darum muss Diplomatie grundsätzlich das erste Mittel sein, um Konflikte zu deeskalieren.

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