Frauen und Männer unterscheiden sich in Bezug auf Gesundheit und Krankheit. Geschlechtsspezifische Unterschiede ergeben sich u.a. bei der Wahrnehmung und Kommunikation von Symptomen, der Erkrankungshäufigkeit, im gesundheitsrelevanten Verhalten und bei der Inanspruchnahme von Versorgungsangeboten. Neben psychosozialen Faktoren spielen ebenso biologische Faktoren eine Rolle. Das Gesundheitssystem muss diese Unterschiede in den Blick nehmen und geschlechtsspezifischen Bedarfen und Fragen in der medizinischen Versorgung und Forschung gerecht werden.
Kulturwandel in der Geburtshilfe
Schwangerschaft und Geburt sind besondere Lebensphasen, in denen Frauen das Recht auf Unterstützung zusteht. Frauen müssen selbst entscheiden können, wo und wie sie ihr Kind zur Welt bringen möchten. Diese Wahlfreiheit ist in Deutschland vielerorts in Gefahr: Eine wohnortnahe Versorgung mit Hebammenleistungen und Geburtshilfe ist nicht flächendeckend vorhanden.
98 Prozent der Frauen entscheiden sich, ihr Kind in einer Klinik zur Welt zu bringen. Sie vertrauen auf gute medizinische und psychosoziale Betreuung. In vielen ländlichen Bereichen schließen jedoch immer mehr Kreißsäle und Geburtsstationen. Zudem betreuen Hebammen in Kreißsälen oftmals drei bis vier Gebärende gleichzeitig. Der DF fordert die konsequente Umsetzung des Nationalen Gesundheitsziels “Gesundheit rund um die Geburt” durch planvolles politisches Vorgehen auf Bundes- und Länderebene mit klaren Zeit- und Zielvorgaben. Die Frau und auch das Kind müssen als rechtliche Souveräne in der Geburtshilfe anerkannt werden. Das Recht der Frau auf adressatinnengerechte Information und Entscheidung ist in jeder Betreuungsphase zu fördern und zu respektieren. Während der Geburt müssen Frauen durchgängig von einer Hebamme begleitet werden, am besten in einer 1:1-Betreuung.
Die zunehmende Medikalisierung und Technisierung von Schwangerschaft und Geburt müssen von Politik, Medizin und Gesellschaft kritisch hinterfragt werden. Der DF fordert die Abschaffung oder Modifizierung der Fallpauschalen des DRG-Systems für die Geburtshilfe – Rahmenbedingungen und Anreize für Kliniken zur Förderung physiologischer Geburten müssen geschaffen werden. Auch die praktische Aus- und Weiterbildung aller in der geburtshilflichen Versorgung beteiligten Berufsgruppen muss gezielt auf die physiologische Geburt ausgerichtet werden. Grundsätzlich muss Gewalt und Gewalterfahrungen unter der Geburt als strukturelles Problem in der Frauengesundheit wahrgenommen und politische Maßnahmen zur Abhilfe ergriffen werden.
Sexuelle und reproduktive Rechte
Sexuelle und reproduktive Rechte sind Menschenrechte. Neben selbstbestimmter Familienplanung – also der Frage ob, wann und wie viele Kinder eine Frau bekommen möchte – gehören dazu weitere Aspekte wie Sexualaufklärung und uneingeschränkter Zugang zu Empfängnisverhütung.
Paragraf 219a des Strafgesetzbuches stellt die “Werbung” für den Abbruch der Schwangerschaft unter Strafe. Dieser Paragraf ist jedoch sehr weitreichend und stellt auch sachliche und fachliche (nicht werbende) öffentliche Information über legale Schwangerschaftsabbrüche durch Ärzt*innen unter Strafe. Daraus folgt ein erhebliches Problem für Ärzt*innen und Frauen. Der DF fordert die Abschaffung des §219a StGB und setzt sich für einen uneingeschränkten Zugang zu sachlichen Informationen über legale Schwangerschaftsabbrüche und das Recht auf Selbstbestimmung der Frau sowie freie Ärzt*innen-Wahl ein.
Selbstbestimmte Familienplanung ist ein Menschenrecht. Viele Menschen in Deutschland können sich Verhütungsmittel aus finanziellen Gründen nicht leisten, greifen zu weniger zuverlässigen Methoden oder verzichten ganz auf Verhütung. Der Zugang zu kostenlosen verschreibungspflichtigen Verhütungsmitteln soll auch nach dem vollendeten 22. Lebensjahr gewährleistet werden. Die Kosten müssen aus Steuerzuschüssen finanziert werden.
Da Verhütung eine partnerschaftliche Verantwortung ist, sollte diese gleichermaßen von allen Geschlechtern übernommen werden. Deshalb fordert der DF einen kostenlosen und niedrigschwelligen Zugang zu nicht-verschreibungspflichtigen Verhütungsmittel sowie die Ermöglichung operativer Eingriffe zur Empfängnisverhütung für alle Menschen.
Verbesserungen für das Pflegepersonal
Mehr als drei Viertel des Pflegefachpersonals sind Frauen. Die Corona-Pandemie zeigt einmal mehr, welch gesellschaftlich wichtige Arbeit sie leisten und wie hoch die Belastungen in diesem Bereich sind. Pflegende Berufe müssen daher dringend attraktiver für (neue) Arbeitskräfte werden. Dies kann nur durch angemessene Löhne sowie bessere Qualifizierungs- und Aufstiegsmöglichkeiten gelingen.
Geschlechtersensible Gesundheitsversorgung und Forschung
Geschlechtsspezifische Daten zu allen gesundheitsrelevanten Bereichen bilden die Grundlage für differenzierte gesundheitspolitische Maßnahmen. So erwartet der DF in jeder Legislaturperiode eine Berichterstattung zur Frauengesundheit für Deutschland unter Mitwirkung einer Expert*innen-Kommission, die begleitend, beratend und empfehlend tätig sein soll. Geschlechtsspezifische Unterschiede bei Diagnostik und Therapie müssen besser erforscht und die Forschungsergebnisse in die Medizinausbildung und die Behandlungsleitlinien aufgenommen werden.
Geschlechtsspezifische Benachteiligungen zeigen sich bei der Arzneimittelforschung und -entwicklung sowie bei Therapieleitlinien. Obwohl bekannt ist, dass es erhebliche Geschlechtsunterschiede in der Wirkung von Arzneimitteln gibt, sind Frauen in klinischen Studien unterrepräsentiert und geschlechtsdifferenzierte Dosierungsangaben von Medikamenten fehlen. Dieser weitgehende Ausschluss von Frauen aus Studien birgt große Gefahren für deren medizinische Versorgung. Gleiches gilt für Kinder und Senior*innen. Bei allen Neu- und Nachzulassungen von Arzneimitteln sind zwingend geschlechtsspezifische Wirkstoff- und Nebenwirkungsprofile vorzulegen. Zudem müssen unterschiedliche Arzneimittelreaktionen bei Frauen und Männern in den Leitlinien für Diagnostik und Therapie verschiedener Krankheitsbilder aufgeführt werden. Nur so lassen sich Über- oder Unterdosierung, Fehleinsatz, mangelnde Wirksamkeit und unerwünschte Arzneimittelwirkungen vermeiden. Weiterhin fordert der DF die Bundesregierung und die Landesregierungen auf, zusätzliche Mittel bereitzustellen, um an allen medizinischen Fakultäten Lehrstühle für Gendermedizin einzurichten.