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Gleichstellung in Zeiten des Wandels – mit Frauen die Zukunft gestalten

Aktuelles | 16. Juli 2025

Die Herausforderungen unserer Zeit sind gewaltig: Die Klimakrise, der rasante Fortschritt der Digitalisierung und tiefgreifende Veränderungen in der Arbeitswelt stellen unsere Gesellschaft vor enorme Umbrüche. Inmitten dieses Wandels stellt sich eine zentrale Frage mit zunehmender Dringlichkeit: Wie kann unter diesen Bedingungen Geschlechtergerechtigkeit gesichert und weiter vorangebracht werden? Es wird immer deutlicher, dass weitreichende Transformationsprozesse nicht geschlechterneutral verlaufen – im Gegenteil. Frauen und marginalisierte Gruppen sind von strukturellen Ungleichheiten besonders betroffen und laufen Gefahr, bei der Gestaltung der Zukunft übergangen zu werden.

Dass es höchste Zeit ist, Antworten auf diese drängende Frage zu finden, zeigte auch die große Resonanz auf die Fachveranstaltung des Deutschen Frauenrats „Gleichstellung in Zeiten des Wandels – mit Frauen die Zukunft gestalten“, die am 20. Juni 2025 in Berlin stattfand. Über 150 engagierte Teilnehmer*innen aus Politik, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Praxis kamen zusammen, um gemeinsam zu diskutieren, wie Gleichstellung auch in Zeiten dynamischer Veränderungen als Leitprinzip erhalten und gestärkt werden kann. Sie waren sich einig: Nur wenn die Perspektiven, Lebensrealitäten und Bedürfnisse von Frauen systematisch in politische und gesellschaftliche Transformationsprozesse einbezogen werden, kann eine gerechte und zukunftsfähige Gesellschaft entstehen.

Geschlechtergerechte Zukunft entsteht nicht von allein

In ihrer Eröffnungsrede richtete die Vorsitzende des Deutschen Frauenrats, Dr. Beate von Miquel, den Blick auf das Jahr 2050 – denn eine geschlechtergerechte Zukunft entstehe nicht von allein, sondern durch Weichen, die heute gestellt würden. Dafür heiße es, Alternativen zum Gegenwärtigen zu entwickeln, konkrete Ziele zu setzen und ein positives Zukunftsbild unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft zu entwickeln, auch wenn sich gerade eine Krise an die nächste reihe. Sie machte klar: Gleichstellung ist dabei kein Nebenschauplatz, sondern Voraussetzung für eine zukunftsfähige Gesellschaft.

 

Dr. Beate von Miquel (Foto: Heidi Scherm)
Mehr Strategie in allen Politikfeldern notwendig

Bundesfrauenministerin Karin Prien unterstrich in ihrem Grußwort, dass gesellschaftlicher Wandel nicht zwangsläufig Fortschritt bedeute. Veränderung allein garantiere noch keine Verbesserung, im Gegenteil: Aktuell bestehe die Gefahr, dass das Pendel rückwärts ausschlage. Sie betonte daher die gemeinsame Verantwortung, Entwicklungen entgegenzutreten, die erreichte Fortschritte gefährden. In diesem Zusammenhang hob die Ministerin die Bedeutung einer ressortübergreifenden Gleichstellungsstrategie hervor. Nur wenn alle politischen und gesellschaftlichen Bereiche koordiniert und konsequent auf das Ziel der Gleichstellung hinarbeiteten, könne langfristig ein stabiles Fundament für echte Chancengleichheit geschaffen und bewahrt werden. Darüber hinaus nannte sie unter anderem die Umsetzung der Entgelttransparenzrichtlinie, den Ausbau der Betreuungsinfrastruktur und Gewaltschutz als konkrete Vorhaben ihres Hauses.

 

Karin Prien (Foto: Heidi Scherm)
Gleichstellung als Antwort auf (fast) alle Probleme

Philippa Sigl-Glöckner, Ökonomin und Direktorin des Thinktanks Dezernat Zukunft, widmete ihren Impulsvortrag einem optimistischen Blick auf die wirtschaftlichen Umbrüche unserer Zeit und fragte eingangs, warum gerade diese Transformationen eine historische Chance für mehr Geschlechtergerechtigkeit bieten könnten. Ihre Antwort darauf war ebenso klar wie fundiert: Eine gleichberechtigte Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt sei der Schlüssel zur Lösung vieler gegenwärtiger Herausforderungen: Dekarbonisiertes Wachstum, eine ausbalancierte Wirtschaft, Fachkräftemangel und einen ausgeglichenen Bundeshaushalt. Sigl-Glöckner argumentierte, dass eine geschlechtergerechte Wirtschaftspolitik nicht nur ein Gebot der Fairness sei, sondern auch ökonomisch notwendig: Für ein gelingendes, klimaneutrales Wachstum brauche es das volle gesellschaftliche Potenzial – und damit auch die systematische Einbindung von Frauen in alle Wirtschaftsbereiche. Die Ausweitung der Erwerbstätigkeit von Frauen könne dazu beitragen Fachkräfteengpässe zu lindern, Innovationspotenziale besser zu nutzen und langfristig zu einem stabileren, gerechteren und leistungsfähigeren Bundeshaushalt beizutragen. Sie forderte ein Umdenken in der Wirtschaftspolitik: weg vom tradierten Bild männlich dominierter Leitindustrien, hin zu einer nachhaltigen, inklusiven und zukunftsorientierten Ausrichtung, in der Sorgearbeit, soziale Infrastruktur und Chancengleichheit eine zentrale Rolle spielen. Der wirtschaftliche Wandel sei damit kein Risiko, sondern eine echte Chance – vorausgesetzt, er werde aktiv und geschlechtergerecht gestaltet.

 

Philippa Sigl-Glöckner (Foto: Heidi Scherm)
Sozial-ökologische Transformation geschlechtergerecht gestalten

Auch der vierte Gleichstellungsbericht liefert Antworten auf drängende Fragen unserer Zeit. Dr. Ulrike Spangenberg, Leiterin der Geschäftsstelle für den Vierten Gleichstellungsbericht, stellte zentrale Ergebnisse des Berichts vor und erläuterte, wie durch eine aktive Gleichstellungspolitik Rahmenbedingungen geschaffen werden können, die es Frauen und Männern ermöglichen, gleichberechtigt an gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen teilzuhaben. Sie betonte insbesondere die Bedeutung vorausschauender politischer Gestaltung: Nur wenn Gleichstellung von Beginn an als Leitprinzip in Transformationsprozesse integriert werde – sei es in der Klimapolitik, in der Innovationsförderung oder beim Umbau der Arbeitswelt –, könne der Wandel gerecht und nachhaltig gelingen. Der Staat sei gefordert, in eine klimafreundliche öffentliche Daseinsvorsorge zu investieren, die ressourcenschonende und zugleich sozial und geschlechtergerechte Arbeits- und Lebensweisen ermögliche.

 

Dr. Ulrike Spangenberg (Foto: Heidi Scherm)
Gesellschaft vor der Herausforderung des Wandels

Claudia Altwasser, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Frauenrats, machte in ihrer Kurzeinführung zum ersten Panel deutlich, dass es neue Impulse für soziale und geschlechtergerechte Strategien des Wandels brauche, die Teilhabe stärken und Machtkonzentration entgegenwirken. Vor allem aber brauche es stärkende Narrative, die besonders Frauen Hoffnung und Handlungsmacht zurückgeben. Mit diesem Appell leitete sie in die Panel-Diskussion über, bei der Dr. Nicola Brandt, Leiterin des OECD Berlin Centre, Thomas Heilmann, Vorsitzender der KlimaUnion, Bernd Ulrich, Autor und Redakteur bei der Wochenzeitung DIE ZEIT, und Serap Altinisik, geschäftsführende Vorstandsvorsitzende von Oxfam Deutschland, die Herausforderungen der gesellschaftlichen Umbrüche diskutierten. Der Austausch zeichnete ein vielschichtiges Bild: Während Thomas Heilmann die zunehmende Überforderung der Politik mit dem Management schneller Veränderungsprozesse ansprach und die Gefahr betonte, dass sich der Wandel immer mehr einer politischen Steuerung entziehe, setzten andere Stimmen bewusst Kontrapunkte. Serap Altinisik warb für eine feministische Zukunftsvision, die Mut mache und das transformative Potenzial feministischer Bewegungen in den Mittelpunkt stelle. Sie sprach von einer möglichen neuen Welle des Feminismus, die gesellschaftlichen Wandel aktiv mitgestalte und soziale wie ökologische Gerechtigkeit zusammen denke. Dr. Nicola Brandt betonte die Bedeutung der aktiven politischen Steuerung – insbesondere auch mit dem Blick auf Digitalisierungsprozesse. Bernd Ulrich zeichnete das Bild einer Revolution für die Demokratie, in einer Zeit, in der ein „Weiter so“ als politische Normalität nicht mehr funktioniere und Demokratie als Staatsform nicht garantiert sei.

 

v.l.n.r.: Dr. Nicola Brandt, Thomas Heilmann, Bernd Ulrich, Serap Altinisik, Dr. Julia Kropf (Moderation) (Foto: Heidi Scherm)
Gerechte Arbeit der Zukunft gestalten

Das zweite Panel widmete sich der Frage nach der geschlechtergerechten Gestaltung der Arbeit der Zukunft. Anja Weusthoff, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Frauenrats, betonte eingangs die Notwendigkeit, den Wandel aktiv, inklusiv und geschlechtergerecht zu gestalten: durch bessere Arbeitsbedingungen, gerechte Teilhabe an Zukunftsbranchen und eine Aufwertung sowie Umverteilung von Sorgearbeit. Auf dem anschließenden Panel diskutierten Johanna Wenckebach, Justiziarin bei IG Metall, Britta Matthes, Leiterin der Forschungsgruppe „Berufe in der Transformation“ am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, und Sylvia Borcherding, Arbeitsdirektorin bei 50hertz, die notwendigen Weichen des Wandels. Politische Vorhaben, wie die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Lockerungen des Arbeitszeitgesetzes, zeigen hier in die falsche Richtung, wie Wenckebach betonte. Beschäftigte seien insbesondere in Zeiten der Transformation auf verlässliche Arbeitszeiten angewiesen, die auch notwendige Voraussetzung für die faire Verteilung von Sorge- und Erwerbsarbeit seien. Sylvia Borcherding zeigte am Beispiel von 50hertz auf, dass auch in männerdominierten Branchen Frauenförderung gelingen kann, wenn sie passende Rahmenbedingungen hat und sprach sich für eine Quote auf Geschäftsführungsebene aus, um Gleichstellung in Unternehmen zu erreichen. Britta Matthes sprach über die Chancen und Risiken von künstlicher Intelligenz und betonte, dass es unerlässlich sei, wirksame Strukturen zu schaffen, um Gleichstellung langfristig zu erreichen und zu sichern. Johanna Wenckebach machte darüber hinaus deutlich, dass Digitalisierung und Transformation Verteilungsfragen seien. Es stelle sich insbesondere die Frage, wer die Jobs der Zukunft mache. Die Um- und Neugestaltung in diesen Bereichen biete nun die Chance, dass Geschlechtergerechtigkeit von Anfang an als Machtdimension mitgedacht und bei der Gestaltung von Veränderungsprozessen adressiert werde.

 

Foto ins Publikum mit zahlreichen Menschen, die klatschen auf der Fachveranstaltung "Gleichstellung in Zeiten des Wandels – mit Frauen die Zukunft gestalten" des Deutschen Frauenrats
(Foto: Heidi Scherm)
Hoffnungsvoll in die Zukunft

Zum Ende der Veranstaltung fasste Judith Rahner, Geschäftsführerin des Deutschen Frauenrats, die einprägsamsten Momente des Tages zusammen und blickte hoffnungsvoll in die Zukunft. Denn die Antworten und Strategien lägen auf dem Tisch – nun gelte es, ins Handeln zu kommen. Sie erwarte die Erfüllung des Verfassungsauftrages aus Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG und dafür die Verankerung von Gleichstellung als Leitprinzip in allen Ressorts. Positiv wertete sie, dass die neue Bundesregierung die ressortübergreifenden Gleichstellungsstrategie fortführen möchte und forderte eine verbindliche Ausgestaltung, bei der die Expertise des Frauenrats und der frauenpolitischen Zivilgesellschaft aktiv mit einbezogen werde.

 

v.l.n.r.: Judith Rahner, Claudia Altwasser, Dr. Beate von Miquel, Karin Prien, Anja Weusthoff stehen vor einer Rückwand mit Logo des Deutschen Frauenrats und der Aufschrift "Engagiert für Gleichstellung. In Politik und Gesellschaft."
v.l.n.r.: Judith Rahner, Claudia Altwasser, Dr. Beate von Miquel, Karin Prien, Anja Weusthoff (Foto: Heidi Scherm)
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