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Titel Jahresbericht 2019-20

Jahresbericht 2019/20

Publikation | 6. Oktober 2020

2020 sollte das internationale Jahr der Gleichstellung werden: 25 Jahre Pekinger Aktionsplattform und 20 Jahre UN-Sicherheitsratsresolution 1325 standen im Jubiläumskalender. Die neue EU-Kommission hatte bereits am 5. März ihre Strategie der Gleichstellung von Frauen und Männern für 2020 bis 2025 vorgestellt, und Deutschland wollte Gleichstellung während seiner EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte weit oben auf seine Agenda rücken. Wir in Deutschland wurden am 6. März von unserem Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier und seiner Frau Elke Büdenbender im Schloss Bellevue empfangen, um der größten Frauenlobby die Ehre zu erweisen. Anlass war der Internationale Frauentag 2020, an dem unsere Gastgeber die Aufmerksamkeit auf das wichtige gesellschaftliche Engagement von Frauen lenken und sich stellvertretend bei den Spitzen unserer Mitgliedsverbände bedanken wollten.

National und international liefen die Vorbereitungen auf das Jahr der Gleichstellung auf Hochtouren: Viele Arbeitstreffen, hochrangige Konferenzen und Side Events standen in unseren Kalendern – und New York, Mexiko-Stadt, Riad, Paris und Brüssel in unseren Reiseplänen. Dann brachte Corona erst einmal die Welt zum Stillstand. Wie alle mussten auch wir uns mit der Bedrohung durch die neue Pandemie und den notwendigen Schutzmaßnahmen vertraut machen und neue Arbeits- und Kommunikationsformen finden. Wir kommunizieren seitdem fast nur noch online und arbeiten wie die meisten unserer Lobbypartner*innen im In- und Ausland oft von zuhause aus.

Uns war sofort klar, wie sich die unterschiedliche Belastung der Geschlechter in dieser Extremsituation verstärkt, wie vor allem Frauen in den „systemrelevanten“ Bereichen gefordert und überfordert werden. Und wir erschraken, mit welcher Selbstverständlichkeit die Verantwortung für Kinder und pflegebedürftige Angehörige durch den zeitweise kompletten Ausfall der Betreuungseinrichtungen „reprivatisiert“ wurde. Wir mussten das politische Fenster nutzen, das sich durch die Pandemie geöffnet hatte, um auf die vielen Schieflagen im Geschlechterverhältnis hinzuweisen, die durch die Krise deutlicher denn je zutage traten und auf einmal öffentlich diskutiert wurden: die Defizite im Gesundheitswesen, unterbezahlte und überlastete Pflegekräfte, Niedriglöhne in Dienstleistungsbranchen, die ungleiche Verteilung unbezahlter Sorgearbeit, die Gewalt gegen Frauen und Mädchen in der Familie.

All diese und weitere Themen bekamen neue gesellschaftliche Relevanz, zumindest in der öffentlichen Debatte. Doch in den Expertengremien und politischen Krisenstäben, die über Schutzmaßnahmen, Kompensationen und Wege aus der Pandemie entschieden, fehlt die Perspektive von Frauen bis heute fast gänzlich. Darüber waren wir zuerst irritiert und dann wütend. Die Abwertung von Gleichstellungspolitik zu einer vernachlässigbaren Größe in der Krise musste skandalisiert werden. Aus dieser Haltung und in einem einzigartigen Teamwork von Geschäftsstelle und Vorstand entwickelten wir unsere Kampagne „Geschlechtergerecht aus der Krise“, eine Mischung aus Bestandsaufnahme und politischen Forderungen sowie Empfehlungen für eine Gesellschaft, die nach Corona nicht so sein wird, wie sie vorher war. Der DF gewann damit an öffentlicher Wahrnehmung und Einflussnahme und seine Themen an Anerkennung. Wir forderten eine geschlechterpolitische Folgenabschätzung, denn das Beharren in traditionellen Sicht- und Denkweisen bleibt in der Coronakrise eklatant. Überdeutlich wird das nicht zuletzt im Rettungspaket der Bundesregierung, das die Konjunktur über die Krise hinwegbringen soll. Der Löwenanteil des Geldes, für das die ganze Gesellschaft bürgt, geht in Branchen und Sektoren, in denen weit überwiegend Männer beschäftigt sind. Die ökonomische Absicherung von Frauen bleibt weit dahinter zurück. Von geschlechtergerechter Verteilung kann keine Rede sein. Fair geht anders!

Das gleiche gilt übrigens auch für die EU-Ebene, wo sich im Mehrjährigen Finanzrahmen und den Coronahilfen der gleiche „Webfehler“ zeigt. Die Coronakrise macht die Forderung nach der Hälfte, nicht nur der Coronahilfen, sondern nach einem geschlechtergerechten Finanzhaushalt akuter denn je. Sie ist bei uns und unseren Partnerinnen in der Europäischen Frauenlobby weit oben auf die politische Agenda gerückt. Sie steht prominent in unserer ausführlichen Stellungnahme zur EU-Gleichstellungsstrategie und kommt immer zur Sprache, wenn wir mit der Bundesregierung über die deutsche EU-Ratspräsidentschaft reden. Zuletzt war das auch eines der Themen im Gespräch zwischen dem DF-Vorstand und Bundesaußenminister Heiko Maas am 19. August. Endlich konnten wir wieder unsere regelmäßigen Lobbygespräche in realen Begegnungen aufnehmen. Bis Corona hatten wir im Berichtszeitraum unsere Gespräche und Kontakte mit Bundestagsabgeordneten und Regierungsvertreter*innen systematisiert und ausgeweitet. Dazu zählten Treffen des Vorstands und der Geschäftsführung mit Bundesminister*innen und zahlreichen Abgeordneten des Deutschen Bundestags.

Wir hoffen, dass wir mit den gebotenen Vorsichts- und Schutzmaßnahmen allmählich wieder in einen Regelbetrieb übergehen können und uns keine zweite Coronawelle trifft. Um das Risiko in den eigenen Reihen niedrig zu halten, haben wir unsere zunächst vom Juni in den November verschobene Mitgliederversammlung schweren Herzens bis zum nächsten Jahr ausgesetzt. Diesen Jahresbericht wollen wir dennoch vorlegen. Er umfasst den Zeitraum April 2019 bis August 2020 und zeigt: Dank Digitalisierung sind wir voll da. Geschäftsstelle und Vorstand sind gewohnt arbeitsfähig, das Gleiche gilt für unsere Fachausschüsse. Digital haben wir uns auch mit unseren Mitgliedsverbänden am 20. Juni 2020 in einem Barcamp getroffen, doch freuen wir uns sehr auf ein reales Wiedersehen 2021 – dann schon mitten in der heißen Phase des Bundestagswahlkampfs. Politisch bleibt es also spannend.

Mona Küppers, DF-Vorsitzende
Dr. Anja Nordmann, DF-Geschäftsführerin

Jahresbericht 2019/20 als PDF

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