Der Verkehrssektor ist in Deutschland ein wesentlicher Treiber der CO2-Emissionen. 80 Prozent der CO2-Emissionen dieses Sektors entstehen im Straßenverkehr.[i] Um die Pariser Klimaschutzziele zu erreichen, müssen die Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor drastisch gemindert werden. Dazu hat sich die Bundesregierung vorgenommen, die 2020er Jahre für „einen Aufbruch in der Mobilitätspolitik zu nutzen.“[ii]
Mobilität spielt für die gesellschaftliche Teilhabe eine entscheidende Rolle.[iii] Weil Frauen im Durchschnitt täglich 87 Minuten mehr (unbezahlte) Sorgearbeit als Männer[iv] verrichten, häufiger in Teilzeit arbeiten und weniger Lohn erhalten, haben sie andere Anforderungen an eine klimagerechte und ihre Bedarfe integrierende Raumordnungs-, Stadtentwicklungs- und Verkehrsplanung sowie Verkehrsinfrastruktur als Männer.
Frauen legen pro Tag mehrere kurze Strecken für Versorgungsfahrten zurück.[v] Je besser sie Wegezeiten zwischen Wohn-, Erwerbsarbeits- und Betreuungsorten organisieren können, desto besser gelingt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das hat positive Effekte auf die eigenständige wirtschaftliche Absicherung von Frauen.
Frauen fahren weniger mit dem Auto, sie bewegen sich eher zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Erhebungen aus zahlreichen Städten und auch bundesweit belegen, dass Frauen in bestimmten Altersgruppen öffentliche Verkehrsmittel deutlich stärker nutzen als Männer.[vi] Generell sind Frauen eher bereit, sich klimagerecht zu verhalten.[vii] Einer schwedischen Studie zufolge gaben Frauen rund 20 Prozent häufiger als Männer Emissionen als Nachteil beim Autofahren an.[viii] In Deutschland sind 62 Prozent aller Autos auf Männer zugelassen[ix] und als (Status) Symbol einer männlichen Mobilität eng mit einem traditionellen Männlichkeitsbild verknüpft.[x] Mobilitätsangebote wie Carsharing, Ridepooling oder E-Scooter orientieren sich an männlichen Alltagsroutinen. Für viele Frauen, die mit Kindern unterwegs sind und zu bestimmten Zeiten an verschiedenen Orten sein müssen, sind Sharing-Angebote oft ungeeignet, insbesondere wenn (mehrere) Kindersitze benötigt werden.[xi]
Einen PKW mit Verbrennungsmotor durch ein klimafreundlicheres Elektrofahrzeug zu ersetzen, ist für viele Frauen aufgrund von Gender-Pay-Gap und Gender-Pension-Gap kaum finanzierbar: Von der Innovationsprämie, mit der der Bund den Kauf von (vollelektrischen) E-Autos und Plug-in-Hybriden bisher mit bis zu 9.000 Euro der Anschaffungskosten fördert, profitieren gering verdienende Frauen nicht, zumal die Förderungen schrittweise zurückgefahren werden bzw. nach und nach auslaufen. Elektroautos sind mit Preisen ab 45.000 Euro aufwärts vergleichsweise teuer. So erklärt sich auch, dass der Anteil von Frauen beim Neukauf von E-Autos mit knapp 28 Prozent geringer ist als am Anteil aller zugelassenen PKW mit 36 Prozent.[xii] Außerdem sind rund 60 Prozent der neu zugelassenen E-Autos und 70 Prozent der Plug-in-Hybriden Dienstwagen.[xiii] Das mindert den Zugang von Frauen zu E-Autos zusätzlich, weil sie deutlich seltener Dienstwagen fahren: Von allen Fachkräften, die über einen Dienstwagen verfügen, sind nur 3,2 Prozent Frauen. Unter den Führungskräften sind es rund 27 Prozent.[xiv] Diskutiert werden sollte darüber hinaus, ob es klimapolitisch überhaupt sinnvoll ist, mit Prämien zum Kauf von weiteren (Elektro-) Autos anzuregen, weil ein Auto durchschnittlich über 20 Stunden am Tag steht[xv] und E-Mobilität derzeit noch nicht klimaneutral betrieben werden kann.[xvi]
Ziel einer klimagerechten Verkehrspolitik sollte die Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs sein, unabhängig von der Antriebstechnik. Denn neben den Emissionen trägt die Flächenversiegelung für Straßenbau und Parkflächen zum Klimawandel bei.
Da die Nutzung eines privaten PKW im ländlichen Raum oft noch alternativlos scheint, müssen alternative Fortbewegungsmittel und klimafreundliche Mobilitätsketten stärker gefördert und der Ausbau eines multimodalen öffentlichen Personenahverkehrs (ÖPNV) dringend vorangetrieben werden. Private E-Bikes werden beispielsweise nur wenig gefördert, gewerblich genutzte Lastenräder nur noch bis Februar 2024.[xvii]
Auch die Sicherheit eines Fahrzeugs orientiert sich an der männlichen Körpernorm.[xviii] Für Frauen ist das Risiko, bei Autounfällen schwer oder mittelschwer verletzt zu werden, um 47 Prozent bzw. 71 Prozent höher als bei Männern.[xix] Zudem vernachlässigt die öffentliche Verkehrsraumplanung Geschlechteraspekte. Frauen fühlen sich oft nicht sicher in öffentlichen Verkehrsmitteln und wünschen sich besonders nachts vermehrte Kontrollen und helle Straßen.[xx] Studien zufolge fühlt sich eine von drei Frauen unsicher auf der Straße.[xxi]
Eine Verkehrswende greift zu kurz, wenn technische Lösungen im Vordergrund stehen und die Prioritäten nicht konsequent verändert werden. Die Politik muss den Mut aufbringen, sich vom PKW als bevorzugtem Fortbewegungsmittel zu lösen und sie als historisch an männlichen Bedürfnissen orientierte Fortbewegungsform erkennen und überwinden. Dass dies bislang nicht gelingt, wird am Widerstand politischer Entscheidungsträger*innen gegen ein Tempolimit besonders deutlich. Dabei bietet sich hier die Möglichkeit, in höherem Umfang CO2-Emissionen schnell, für alle Beteiligten kostengünstig und energiesuffizient zu reduzieren. Ein Tempolimit befürworten immerhin 45 Prozent der Frauen und 33 Prozent der Männer.[xxii]
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[i] Umweltbundesamt (2021): Energie-Verkehr – Mobilität als Emissionsquelle, https://www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/treibhausgas-emissionen/emissionsquellen#energie-verkehr, (Abruf 22.11.2022).
[ii] Die Bundesregierung (2021): Mehr Fortschritt wagen Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Koalitionsvertrag 2021 – 2025 zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN und den Freien Demokraten (FDP), S. 48., https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/koalitionsvertrag-2021-1990800, (Abruf 20.4.2023).
[iii] Weller, Ines/ Röhr, Ulrike/ Fischer, Karin/ Böckmann, Melanie/ Birk, Nanna (2016): Chancengerechtigkeit im Klimawandel, S. 19. Hg.: artec Forschungszentrum Nachhaltigkeit Universität Bremen und GenderCC – Women for Climate Justice e.V.
[iv] Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) (2020): Gender Care Gap – ein Indikator für die Gleichstellung, https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/gender-care-gap/indikator-fuer-die-gleichstellung/gender-care-gap-ein-indikator-fuer-die-gleichstellung-137294, (Abruf 22.11.2022).
[v] Experi (2021): Frauen, Gender & Mobilität, https://www.experi-forschung.de/frauen-gender-mobilitaet/, (Abruf 22.11.2022).
[vi] Women in Mobility (2021): Female Mobility, https://www.womeninmobility.org/femalemobility, (Abruf 22.11.2022).; Deutschlandfunk Nova (2022): Mobilität – Frauen nutzen häufiger den ÖPNV, https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/mobilitaet-mehr-frauen-nutzen-den-oepnv, (Abruf 20.3.2023).; VCD Mobilität für Menschen (2021): Mobilität von Frauen für Frauen: Warum eine ökologische Verkehrswende auch feministisch sein muss, https://www.vcd.org/artikel/feministische-verkehrspolitik, (Abruf 20.3.2023).
[vii] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) (2020): Umweltbewusstsein in Deutschland 2020. Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage.https://www.bmuv.de/fileadmin/Daten_BMU/Pools/Broschueren/umweltbewusstsein_2020_bf.pdf, (Abruf 3.3.2023).
[viii] Ramboll (2021): Gender and (Smart) Mobility Green Paper 2021, S. 71. Ramboll Smart Mobility, Green paper March 2021.
[ix] Heinrich Böll Stiftung (2021): Women on the Move: Sustainable Mobility and Gender, https://eu.boell.org/en/women-on-the-move-sustainable-mobility-and-gender, (Abruf 5.12.2022).
[x] Experi (2021): Frauen, Gender & Mobilität, https://www.experi-forschung.de/frauen-gender-mobilitaet/, (Abruf 5.12.2022).
[xi] Women in Mobility (2021): Female Mobility, https://www.womeninmobility.org/femalemobility, (Abruf 1.12.2022).; Experi (2021): Frauen, Gender & Mobilität, https://www.experi-forschung.de/frauen-gender-mobilitaet/, (Abruf 1.12.2022).
[xii] Röhr, Ulrike (2021): CO2-Bepreisung aus feministischer Perspektive – eine Genderanalyse, S. 11; Frey, Regina/ Röhr, Ulrike (2021): Das Konjunkturpaket zur Überwindung der Corona-Krise aus Geschlechter- und Klimaperspektive, S. 6.
[xiii] ebd.
[xiv] ebd.
[xv] Mobilität in Deutschland (2019): Ergebnisbericht, S. 5, Eine Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur, https://www.mobilitaet-in-deutschland.de/pdf/MiD2017_Ergebnisbericht.pdf, (Abruf 16.2.2023).
[xvi] Forum Ökologisch-Sozialer Marktwirtschaft (2021): Auswirkungen umweltschädlicher Subventionen in Deutschland auf den Globalen Süden, (Abruf 3.12.2022).; Süddeutsche Zeitung (2015): Zwiespältige Umweltbilanz, E-Autos – dreckiger als gedacht, https://www.sueddeutsche.de/auto/zwiespaeltige-umweltbilanz-e-autos-dreckiger-als-gedacht-1.2748493, (Abruf 2.12.2022).
[xvii] Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (2023): E-Lastenfahrräder, https://www.bafa.de/DE/Energie/Energieeffizienz/E-Lastenfahrrad/e-lastenfahrrad_node.html, (Abruf 17.2.2023).
[xviii] Women in Mobility (2021): Female Mobility, https://www.womeninmobility.org/femalemobility, (Abruf 28.11.2022).
[xix] Women in Mobility (2021): Female Mobility, https://www.womeninmobility.org/femalemobility, (Abruf 28.11.2022); Auto-Motor-und-Sport (2022): Erster Weiblicher Crashtest Dummy, https://www.auto-motor-und-sport.de/verkehr/erster-weiblicher-crashtest-dummy-eva-astrid-linder-vti-schweden/, (Abruf 13.12.2022).
[xx] ebd.
[xxi] ebd.
[xxii] Umweltbundesamt (2020): Klimaschutz durch Tempolimit. Wirkung eines generellen Tempolimits auf Bundesautobahnen auf die Treibhausgasemissionen, https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/klimaschutz-durch-tempolimit, (Abruf 20.4.2023); Allianz Direct (2021): Auto-Report: Tempolimit, https://www.allianzdirect.de/zahlen-daten-fakten/autoreport/tempolimit/, (Abruf 20.4.2023).