Am 22. November 2022 lud der Deutsche Frauenrat die Abgeordneten des Deutschen Bundestags unter dem Motto „Geschlechtergerecht in die Zukunft“ zu seinem Parlamentarischen Abend ein. Gemeinsam mit dem DF-Vorstand und geladenen Gästen diskutierten die Parlamentarier*innen, wie inmitten multipler Krisen eine tragfähige, solidarische und zukunftsorientierte Politik gestaltet werden kann, die die unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten von Frauen und Männern berücksichtigt und bestehenden Ungleichheiten entgegengewirkt.
Sönke Rix, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion, eröffnete den Abend mit der Feststellung: „Gerade in Zeiten der Krise sind diejenigen, die strukturell benachteiligt sind, darunter auch Frauen, besonders stark betroffen.“
Dr. Beate von Miquel, die Vorsitzende des DF, hob in ihrem Impulsvortrag hervor, dass Frauen die Krisen und die damit verbundenen Preissteigerungen vor allem als Alleinerziehende, Geringverdienerinnen oder Rentnerinnen empfindlich treffen. Sie unterstrich: „Auch wenn Corona-Pandemie, Energiekrise und Inflation sich nicht vergleichen lassen, die Folgen einer Politik, die Gleichstellung außenvorlässt, sind für Frauen gleichermaßen drastisch.“ Für den DF sei klar: Gleichstellungspolitik trage maßgeblich zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei, indem sie die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen über den Lebensverlauf und damit die soziale Sicherheit von Familien stärke.
Den wissenschaftlichen Impuls setzte Prof. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaft (DIW), zu Fragen von Inflation, Energiekrise und Entlastungspaketen unter frauen- und gleichstellungspolitischen Gesichtspunkten. Eindrücklich präsentierte der DIW-Präsident anhand aktueller Studien und Statistiken, wie und warum Frauen und weitere vulnerable Gruppen von wirtschaftspolitischen Entscheidungen benachteiligt werden. In kaum einem anderen Land seien die Gender-Gaps so hoch wie in Deutschland. Prof. Fratzscher zeigte auf, dass die Schere zwischen Menschen mit hohen und geringen Einkommen immer weiter aufgeht. Insbesondere Frauen fallen aufgrund geringer Stundenlöhne und Erwerbseinkommen in die Gruppe derjenigen mit kleinen Einkommen und wenig Rücklagen. Sie leisten weiterhin den Großteil der unbezahlten Sorgearbeit, was ihre Möglichkeiten am Arbeitsmarkt einschränkt. Auch im Steuersystem werden Frauen benachteiligt; so zahlen verheiratete Frauen, die unter 40.000€ jährlich verdienen, doppelt so viel Steuern wie verheiratete Männer.
Der Staat sollte laut Fratzscher in Krisenvor allem Maßnahmen auf den Weg bringen, die jene erreichen, die sie am nötigsten brauchen, anstatt alle Bürger*innen pauschal zu unterstützen. Aktuelle Maßnahmen müssten vielmehr als bisher anhand von Kriterien einer sozial gerechten und gleichstellungsorientierten Krisenpolitik ausgestaltet werden. Dazu gehörte die Umverteilung von Sorgearbeit ebenso wie eine Steuerpolitik, die hohe Einkommen und Vermögen mehr in die Pflicht nimmt.
Vier Fragen an Marcel Fratzscher:
Wie relevant die Frage einer geschlechtergerechten Krisenpolitik für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ist, spiegelte die abschließende lebhafte Diskussionsrunde zwischen Prof. Fratzscher, den Abgeordneten und DF-Vorstand wider. Mehrfach wiederholt wurden Forderungen nach konkreten Maßnahmen. Darunter fallen die steuerliche Benachteiligung von Ehefrauen zu beenden, die Repräsentanz von Frauen in Führungs- und Vorstandspositionen zu erhöhen und sogenannte Frauentypische Branchen aufzuwerten. Aufgeworfen wurde darüber hinaus die Frage, inwieweit die Vorstellungen von „normalen“ Arbeitszeiten hinterfragt werden sollten. Auch das Anliegen, sozialen Ungleichheiten durch zielgenaue Entlastungen und Förderungen entgegenzuwirken, wurde wiederholt deutlich. Einigkeit bestand darin, dass Gleichstellung strukturell und themenübergreifend gefördert werden muss, damit Frauen gestärkt werden und künftigen Krisen trotzen können. Dafür streitet der DF weiterhin.
Nach dem inhaltlichen Teil des Abends riss die angeregte Diskussion nicht ab. Bei einem Abendessen in kleineren Gruppen tauschten sich die Anwesenden weiter über eine geschlechtergerechte und zukunftsorientierte Politik aus. An die Gespräche des Abends mit den politischen Verantwortlichen wird der DF anknüpfen.
Eindrücke vom Parlamentarischen Abend des DF: