Vollbeschäftigung ist zweifellos eines der zentralen Ziele der Wirtschaftspolitik, da die Arbeitsmarktsituation von entscheidender Bedeutung für Wohlstand und Wohlfahrt einer Gesellschaft ist. Ein hoher Beschäftigungsgrad kommt grundsätzlich der gesamten Gesellschaft zugute, da er eine kontinuierliche Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen aufrechterhält, zu einem stabilen Wirtschaftswachstum beiträgt. Auf individueller Ebene ermöglicht ein stabiles Einkommen den Menschen, ihre Bedürfnisse zu erfüllen. Es trägt zum Wohlstand bei, fördert aber auch das subjektive Wohlbefinden. Anders ausgedrückt trägt die gesellschaftliche Anerkennung, die durch Erwerbstätigkeit erlangt wird, neben dem Einkommen und der sozialen Sicherheit wesentlich zur sozialen Integration bei (Yollu-Tok/Sesselmeier 2012). Es ist wirtschaftspolitisch jedoch entscheidend, die Qualität der Erwerbstätigkeit zu berücksichtigen, statt Vollbeschäftigung nur als rein quantitative Größe zu betrachten.
Ein wichtiges Qualitätssiegel ist die Art des Beschäftigungsverhältnisses: Normalarbeitsverhältnisse werden in diesem Kontext definiert als unbefristete Vollzeitbeschäftigungen, die eine vollständige Integration in die sozialen Sicherungssysteme ermöglichen und eine klare Identität zwischen Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis sowie Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers an den Arbeitgeber aufweisen (Mückenberger 2010). Weichen Beschäftigungsverhältnisse von dieser Norm ab, gelten sie als atypisch: z.B. befristete Arbeitsverträge, Leiharbeit, geringfügige Beschäftigung und Teilzeitarbeit. Diese Formen der Beschäftigung gehen oft mit einer geringeren sozialen Absicherung, einem niedrigeren Einkommen und einem höheren Armutsrisiko einher. Im Jahr 2021 verdienten zum Beispiel 90,5 Prozent der abhängig Beschäftigten in Minijobs in Ostdeutschland weniger als 12,73 Euro pro Stunde (die Niedriglohnschwelle), im Vergleich zu 81 Prozent in Westdeutschland. Sozialversicherungspflichtige Teilzeitbeschäftigte verdienten im Jahr 2021 in Ostdeutschland 30,9 Prozent weniger als die Niedriglohnschwelle, im Vergleich zu 23 Prozent in Westdeutschland (Kalina 2024). Die Arbeitsmarktpolitik befasst sich mit den Maßnahmen, die von staatlichen Institutionen ergriffen werden, um die Dynamik auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt so zu lenken, dass nicht nur ein hoher Beschäftigungsstand erreicht wird, sondern auch ein Beschäftigungsstand, der ökonomische Eigenständigkeit, soziale Sicherheit und soziale Integration ermöglicht (Hofmann et al. 2018).
Angesichts des demografischen Wandels ist es zudem von entscheidender Bedeutung, Strategien zu entwickeln, um den Bedarf an Arbeits- und Fachkräften zu decken und eine nachhaltige Arbeitsmarktsituation zu gewährleisten. In diesem Kontext ist die Fachkräftesicherung zu einem zentralen Anliegen der Wirtschaftspolitik geworden. Durch gezielte Maßnahmen und Programme soll sichergestellt werden, dass ausreichend qualifizierte Arbeitskräfte vorhanden sind, um den Bedarf der Wirtschaft zu decken und die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten.
Im Rahmen der feministischen Arbeitsmarktpolitik werden geschlechtsbezogene Ergebnisse und Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt analysiert und adressiert, wobei sie hierfür verschiedene Indikatoren heranzieht.
Aktuelle Daten aus dem Jahr 2022 zeigen, dass 73 Prozent aller Frauen einer bezahlten Arbeit nachgehen, im Vergleich zu 80,5 Prozent bei Männern. Somit beträgt der Gender Employment Gap (Erwerbsbeteiligungslücke) im Jahr 2022 neun Prozent (Statistisches Bundesamt 2024b). In diesem Zusammenhang ist die „Stille Reserve“ relevant. Diese bezieht sich auf erwerbsfähige Menschen, die zwar momentan nicht aktiv auf dem Arbeitsmarkt verfügbar sind oder aktiv nach Arbeit suchen, jedoch dennoch den Wunsch nach Beschäftigung haben. Knapp 56 Prozent dieser stillen Reserve waren im Jahr 2021 Frauen. Über 60 Prozent von ihnen verfügten über eine mittlere oder hohe Qualifikation (Statistisches Bundesamt 2023c). Es zeigten sich deutliche Geschlechtsunterschiede hinsichtlich der Hauptgründe für die Inaktivität am Arbeitsmarkt: Etwa ein Drittel der Frauen im Alter von 25 bis 59 Jahren gab an, dass sie derzeit aufgrund von Betreuungspflichten keine Arbeit aufnehmen könnten. Im Gegensatz dazu nannten nur 5,6 Prozent der Männer in derselben Altersgruppe diesen Grund (Statistisches Bundesamt 2023c). Wenn gut qualifizierte Frauen aktiv am Arbeitsmarkt teilnehmen (können), kann ein beträchtliches Potenzial an Fachkräften mobilisiert werden. Dies zahlt nicht nur auf die Fachkräftesicherung insgesamt ein, sondern hat auch positive Auswirkungen auf Produktivität und Geschlechtergerechtigkeit.
Im Jahr 2023 betrug die durchschnittliche monatliche Erwerbsarbeitszeit von Männern 148 Stunden, während Frauen nur 121 Stunden bezahlt arbeiteten. Dies entspricht einer Differenz von 18 Prozent, die als Gender Hours Gap (Erwerbsarbeitszeitenlücke) bezeichnet wird (Statistisches Bundesamt 2024a, b). Dieser Unterschied spiegelt sich im höheren Anteil von Frauen in atypischen Beschäftigungsverhältnissen wie Minijobs und Teilzeit wider. Diese Beschäftigungsformen sind oft mit niedrigeren Einkommen verbunden, wie die Daten zur Niedriglohnbeschäftigung für das Jahr 2021 zeigen: der abhängig Beschäftigten Frauen verdienten weniger als 12,73 Euro pro Stunde (die Niedriglohnschwelle) (Kalina 2024). Zusätzlich gehen diese Beschäftigungsverhältnisse mit einer unzureichenden bzw. geringeren sozialen Absicherung einher.
Die Diskrepanz in der Erwerbsbeteiligung und die Beschäftigungslücke haben beide ihre Ursprünge in der Betreuungslücke. Diese wird deutlich durch die vorwiegend von Frauen geleistete unbezahlte Arbeit, insbesondere in Form von Sorgearbeit in Haushalt, Kinderbetreuung und der Pflege von Angehörigen. So verbrachten im Jahr 2022 Männer pro Woche knapp 21 Stunden und Frauen knapp 30 Stunden mit unbezahlter Sorgearbeit. Der Gender Care Gap (Sorgearbeitslücke) liegt aktuell bei 44,3 Prozent (Statistisches Bundesamt 2024a). Die „Motherhood Lifetime Penalty“[1] wird insbesondere in Bezug auf das Lebenserwerbseinkommen deutlich: Mütter verdienen im Durchschnitt 62 Prozent (in Westdeutschland) bzw. 48 Prozent (in Ostdeutschland) weniger als Väter (Jahrgänge 1975-1985) (Bönke et al. 2020).
Unbezahlte Arbeit leistet einen beträchtlichen Beitrag zur Gesellschaft: Sie ermöglicht es anderen Familienmitgliedern, am Arbeitsmarkt teilzunehmen, sie trägt zur Reproduktion der Arbeitskräfte bei, sie sorgt dafür, dass die nächste Generation heranwächst und die ältere Generation gepflegt wird – sie spielt eine bedeutende Rolle bei der Bewältigung der demografischen Herausforderung.
Die feministische Arbeitsmarktpolitik betont den Beitrag unbezahlter Arbeit für die Wirtschaft und Gesellschaft. Gleichzeitig zeigt sie bestehende Lücken im Hinblick auf die Leistungsgerechtigkeit auf. Denn die Arbeit, die hauptsächlich von Frauen geleistet wird, wird nicht angemessen anerkannt oder entlohnt. Leistungsgerechtigkeit bezeichnet eine wirtschaftspolitisch normative Perspektive, die besagt, dass es gerecht ist, wenn individuelle Einkommen entsprechend der von den Einzelnen für die Gesellschaft erbrachten Leistung bemessen werden. In diesem Kontext ist es konsequent, alle Formen von Leistung zu berücksichtigen, einschließlich unbezahlter Sorgearbeit. Wenn es um die Wahrung von Leistungsgerechtigkeit geht, muss die unbezahlte Arbeit ökonomisch gewürdigt werden. Gleichzeitig müssen aber auch politische Maßnahmen ergriffen werden, um sicherzustellen, dass unbezahlte Sorgearbeit geschlechtergerecht verteilt und in Teilen in formal und qualifiziert erbrachte Dienstleistungen überführt wird, z. B. in Tagespflege für Pflegebedürftige oder durch die Stärkung haushaltsnaher Dienstleistungen. Letzteres ist zudem ein weiterer Hebel für mehr arbeitsmarktpolitische Chancengleichheit. Durch die Umwandlung der bisher informellen unbezahlten Sorgearbeit in formale und bezahlte Sorgearbeit, werden neue (sozialversicherungspflichtige) Arbeitsplätze geschaffen; hierbei muss aber die Branchenlücke geschlossen werden.
Der Arbeitsmarkt ist geschlechtsbezogen segregiert, dies stellt sich auf zwei Arten dar: Zum einen werden bestimmte Berufen oder Branchen von einem Geschlecht dominiert. Diese so genannten horizontal segregierten Arbeitsmärkte zeigen sich beispielsweise, wenn Frauen überproportional in Berufen wie Pflege und Erziehung beschäftigt sind, während Männer eher in technischen Berufen oder im Baugewerbe arbeiten. Zum anderen zeigt sich, dass Männer und Frauen in denselben Berufsfeldern unterschiedliche Positionen und Aufstiegsmöglichkeiten haben. Frauen sind in dieser sogenannten vertikalen Segregation überwiegend in niedriger entlohnten oder weniger prestigeträchtigen Positionen zu finden, während Männer die Führungs- oder besser bezahlten Positionen innehaben. Diese Formen der Geschlechtersegregation erklären nicht nur die Unterschiede im Erwerbseinkommen, sondern tragen auch zur Verfestigung von Geschlechterstereotypen bei und beschränken die Karrieremöglichkeiten von Frauen. Sie können auch unabhängig vom Geschlecht die Chancen beeinträchtigen, in Berufen tätig zu sein, die den Interessen und Fähigkeiten entsprechen, und somit die Gesamtwirtschaft belasten, indem sie das Potenzial der Arbeitskräfte nicht optimal ausschöpfen (Yollu-Tok/Rodríguez Garzón 2018).
Die genannten geschlechterbezogenen Lücken auf dem Arbeitsmarkt spiegeln sich letztlich im (Lebens)Einkommen wider: Der Gender Lifetime Earnings Gap (Lebenseinkommenslücke) ist eine Kennzahl, die das Einkommen über den gesamten Erwerbsverlauf misst und geschlechtsbezogene Vergleiche ermöglicht. Es umfasst sämtliche Bruttoeinkommen aus selbstständiger und unselbstständiger Erwerbsarbeit und ist von wesentlicher Bedeutung, um die Aktivität auf dem Arbeitsmarkt über den gesamten Lebensverlauf hinweg abzubilden, einschließlich Beschäftigungsdauer und -umfang sowie Vergütung. Laut Bönke et al. (2020) beträgt der Gender Lifetime Earnings Gap 45 Prozent in Westdeutschland und 40 Prozent in Ostdeutschland. Zu Verdeutlichung der Lohnlücke ist sicherlich der Gender Pay Gap als Indikator bekannter, er beschreibt den Unterschied zwischen dem durchschnittlichen Bruttostundenlohn von Frauen und Männern bezogen auf ein Jahr; so haben Frauen im Jahr 2023 in Deutschland pro Stunde durchschnittlich 18 Prozent weniger verdienen als Männer (Statistisches Bundesamt 2024b). Zudem zeigt sich, dass trotz vergleichbarer Qualifikation Frauen im Verlauf ihrer Erwerbsbiografie immer noch deutlich weniger verdienen als Männer. Bis zum Geburtsjahrgang 1974 erzielen hochqualifizierte Frauen durchschnittlich nur so viel Erwerbseinkommen wie geringqualifizierte Männer. Jüngere Frauen (Jahrgang 1975-1985) mit akademischer Ausbildung können zwar besser zu den Männern aufschließen und können zumindest mit einem ähnlichen Lebenserwerbseinkommen wie mittelqualifizierte Männer rechnen (Bönke et al. 2020).
Die feministische Arbeitsmarktpolitik stellt schon seit längerer Zeit eine zentrale Ungerechtigkeit in ihr Zentrum: Trotz vergleichbarer Qualifikationen und beruflicher Leistung verdienen Frauen nach wie vor weniger als Männer. Diese Diskrepanz steht im klaren Widerspruch zum grundlegenden Prinzip der bereits erwähnten Leistungsgerechtigkeit der Marktwirtschaft. Diese Ungleichheit hat weitreichende Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft – sie das Potenzial und die Würdigung von Menschen in der Arbeitswelt untergräbt.
schafft Rahmenbedingungen für eine partnerschaftliche Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit:
setzt den quantitativen und qualitativen Ausbau einer Betreuungsinfrastruktur um:
sorgt für die geschlechtergerechte Gestaltung von Arbeitszeit und -ort:
[1] Die „Motherhood Lifetime Penalty“ bezeichnet die kumulierte negative Auswirkung, die Mutterschaft auf das gesamte Arbeitsleben einer Frau hat; einschließlich geringerer Löhne, verminderter Aufstiegschancen und insgesamt geringerer Karrierechancen im Vergleich zu kinderlosen Frauen und Männern.
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