In Volkswirtschaften verrichten Menschen täglich Arbeit, bezahlt und unbezahlt. Die (monetären wie nicht-monetären) gesamtwirtschaftlichen Beiträge dieser Arbeit, sei es etwa durch Steuereinnahmen oder die (unbezahlte) Reproduktion von Arbeitskraft, fließen dann wiederum als Einnahmen in den Staatshaushalt ein. Wie seine Ausgabenpolitik gestaltet wird, obliegt dem Gestaltungsspielraum politischer Entscheidungsträger*innen. Im klassischen Verständnis der Verteilungspolitik geht es in erster Linie darum, wie Ressourcen innerhalb einer Gesellschaft verteilt werden, wie zum Beispiel Sozialpolitik und Infrastrukturpolitik und Steuerpolitik zusammenwirken. Der eigentlichen Verteilungspolitik vorgelagert ist die sogenannte „primäre Verteilung zwischen Lohnarbeit und Kapital”, die beispielsweise auf Umverteilungsprozesse zugunsten von Einkommen aus abhängiger Erwerbsarbeit abzielen kann (Boeckh et al. 2022: 471).
Obwohl in Deutschland breiter und parteiübergreifender Konsens darüber besteht, dass soziale Sicherung ein zentraler Baustein und eine Errungenschaft unserer Wirtschaftsordnung ist und staatliches Handeln erforderlich macht, sind verteilungspolitische Ziele dennoch durchaus verschieden. Im Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung werden (verteilungspolitische) Einnahmen und Ausgaben festgehalten und Zieldimensionen von Verteilungspolitik wie z.B. wirtschaftliche Stabilität oder Wettbewerbsfähigkeit definiert (BMWK 2024). Doch die Vorstellungen darüber, wie soziale Sicherung im Detail gelingt und welche Definitionen sozialer Gerechtigkeit zugrunde gelegt werden, sind durchaus unterschiedlich. „Umstritten ist, welche Rolle Chancengleichheit und Ergebnisgleichheit spielen, was genau unter sozialer Sicherung zu verstehen ist, welchen Umfang staatliche Umverteilungspolitiken haben sollen und welche Instrumente dafür eingesetzt und wie unerwünschte Nebenwirkungen politischer Programme und Eingriffe bewertet werden.” (Bach et al. 2021: 28). Diesen Überlegungen liegt ein (politisch) definiertes Verständnis von Fairness oder Gerechtigkeit zugrunde. Verteilungsgerechtigkeit als Zieldimension strebt eine angemessene Verteilung von Ressourcen, Chancen und Belastungen innerhalb einer Gesellschaft an. Soziale und ökonomische Ungleichheiten sollen mittels entsprechender wirtschaftspolitischer Maßnahmen abgebaut werden.
Es gibt verschiedene Konzepte und Theorien zur Verteilungsgerechtigkeit und damit unterschiedliche Ansätze, wie staatliche Sozialleistungen verteilt werden können:
Wirtschaftswachstum und damit eine steigende Wirtschaftsleistung sind allerdings in vielen verteilungspolitischen Konzepten die Voraussetzung für eine bessere Verteilung von Ressourcen und damit für bessere Lebensbedingungen (für wen wird oft nicht näher spezifiziert) (vgl. Kapitel 1). Je nachdem, wie Verteilungsgerechtigkeit definiert wird, ändern sich auch die konkreten politischen Maßnahmen. Dass sozialstaatliche Umverteilungspolitik wie beispielsweise im Rahmen der öffentlichen Gesundheitsversorgung oder der Altersvorsorge notwendig ist, um soziale Ungleichheiten abzumildern und politisch definierte soziale Ziele wie z.B. die flächendeckende öffentliche Gesundheitsversorgung sicherzustellen oder den Rückgang (häufig weiblicher) Altersarmut zu verhindern, ist in Deutschland unumstritten (Fuest et al. 2021). Umstritten allerdings sind Quantität und Qualität der Sozialpolitik.
Die fehlende Reflektion darüber, für wen (Wirtschafts-)Politik gemacht wird, wird aus feministischer Perspektive kritisiert. „Es ist nicht zuletzt die Wirtschafts- und Sozialpolitik, die Geschlechterverhältnisse gestaltet und verändert.” (Maier/Fiedler 2002: 7). Feministische Verteilungspolitik hat viele Bezüge, die in dieser Expertise thematisiert werden: Sei es die Lohnungleichheit und die Einkommensverteilung, die chancengerechte Arbeitsmarktbedingungen und -integration (Kapitel 4) oder die (unbezahlte) Sorgearbeit (Kapitel 2 und 4), die immer noch vor allem von Frauen geleistet wird. All diese Themenfelder tangieren letztlich verteilungspolitische bzw. sozialpolitische Fragestellungen. Die Erkenntnis, dass insbesondere Verteilungsfragen und damit sozialpolitische Aspekte durchzogen von Geschlechter- und Ungleichverhältnissen sind, ist bereits mehr als 20 Jahre alt (siehe z.B. Maier/Fiedler 2002). Verteilungspolitische Ziele fokussieren insgesamt den Abbau struktureller Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern, um eine Gesellschaft zu schaffen, in der Frauen und Männer gleiche Chancen und Rechte haben.
Aus aktuellen Studien zur Verteilungspolitik wie dem WSI-Verteilungsbericht 2023 wird deutlich, dass die sozio-ökonomischen Unterschiede in Deutschland verfestigt sind und die bildliche Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander geht. Der Gini-Koeffizient, der die Einkommensungleichheit anzeigt und sich zwischen Null (alle haben gleich viel Einkommen) und Eins (eine*r besitzt alles) bewegt, ist in den letzten Jahren, zuletzt während der Corona-Pandemie, wellenförmig angestiegen und lag 2022 bei 0,3 und damit nah am weltweiten Durchschnitt (Brülle/Spannagel 2023: 8). Dennoch gibt es verteilungspolitische Besonderheiten in Deutschland. „Reiche Menschen leben überwiegend in Westdeutschland und häufig in Paarhaushalten ohne Kinder. Sie haben meist Abitur und sind mehrheitlich unbefristet in Vollzeit beschäftigt.” (Brülle/Spannagel 2023: 10). Spiegelgleich ergibt sich, wer in Deutschland arm ist: „Unter den temporär Armen sind Frauen, Alleinerziehende sowie Personen unter 25 Jahren verglichen mit allen anderen Einkommensgruppen am häufigsten repräsentiert.” (ebd.). Basierend auf dem Prinzip der Geschlechtergerechtigkeit, verfolgt eine feministische Verteilungspolitik das Ziel, strukturelle Ungleichheiten wie etwa das Risiko aufgrund soziodemografischer Faktoren wie Geschlecht, Alter, Bildung oder Haushaltsform von (temporärer oder dauerhafter) Armut betroffen zu sein, abzubauen. Konkret bedeutet das, dass Gleichstellung als Leitprinzip in der Verteilungspolitik verankert sein muss, verteilungspolitische Maßnahmen und Ziele transparent und überprüfbar sein müssen und damit einem ähnlichen Prinzip folgen wie dem des Gender Budgetings (siehe Kapitel 2).
Mit der systematischen Integration von Geschlechterperspektiven in politische Maßnahmen, berücksichtigt eine feministische Verteilungspolitik die unterschiedlichen Lebensrealitäten, Bedürfnisse und Erfahrungen von Menschen. Sie integriert Geschlechterperspektiven in alle sozialpolitischen Maßnahmen und Programme und geht nicht von gleichen Voraussetzungen beim Zugang oder dem Anspruch auf staatliche Leistungen aus. Lohnersatzleistungen wie z.B. Kinderkrankengeld oder Arbeitslosengeld beziehen sich auf das Nettoeinkommen und sogenannte Normalarbeitsverhältnisse; Menschen in atypischen Arbeitsverhältnissen wie der geringfügigen Beschäftigung sind von solchen Verteilungsleistungen daher entweder ganz ausgeschlossen oder relativ benachteiligt.
Alternative Steuerkonzepte liegen vor und sehen z.B. die Einführung der Individualbesteuerung von Ehepaaren vor oder fordern „die Lohn- und Einkommensteuer konsequent am Maßstab der Steuergerechtigkeit auszurichten; die Steuerpflichtigen sollen nach ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit zur Finanzierung des Gemeinwesens beitragen” (Deutscher Frauenrat 2023: 3).
Soziale Sicherungssysteme, die auf Geschlechtergerechtigkeit setzen und damit strukturelle Barrieren abbauen, statt sie zu verfestigen (Spangenberg et al. 2020), sind ein wichtiger Baustein für die Zukunftsfähigkeit von Sozial- und Wohlfahrtsstaatlichkeit. Unter dem Eindruck von Veränderungen wie z.B. der Digitalisierung von Arbeit, (neuen) Arbeitnehmer*innenansprüchen oder der sozial-ökologischen Transformation, verändert sich auch Erwerbsarbeit. An vielen Stellen erscheint das Vollzeit-Normalarbeitsverhältnis als Anknüpfungspunkt der Verteilungs- und Sozialpolitik überholt. Wenn Erwerbsarbeit sich also entsprechend verändert, dann müssen sich die Zugriffs- und Anspruchsrechte auf staatliche Leistungen wie Lohnersatzleistungen (z.B. Kinderkrankengeld oder Arbeitslosengeld) ebenfalls ändern.
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