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Für eine geschlechtergerechte Krisenpolitik

Thema "Corona" | 14. Mai 2020

In der Corona-Krise drohen erhebliche Rückschritte in der Gleichstellung. Denn die politischen Maßnahmen zum Umgang mit dem Virus vernachlässigen die Lebenswirklichkeiten von Frauen und Mädchen und setzen auf längst überholt geglaubte Geschlechterrollen. Damit unsere Gesellschaft aus dieser Krise gerechter und sensibilisierter hervorgeht, als sie hineingeraten ist, fordert der DF tiefgreifende Veränderungen, vor allem in der Wirtschafts- und Finanzpolitik.

Wir stellen fest:

Frauen spielen in der Corona-Krise eine entscheidende Rolle

Frauen leisten in der aktuellen Krise einen immensen Beitrag für die Gesellschaft und bekommen dafür zurzeit viel gesellschaftliche Anerkennung. Dies schlägt sich aber nicht in politischen Entscheidungen nieder. Obwohl Frauen in der Krise die Hauptlast tragen, wurden insbesondere die Bedürfnisse von Müttern und ihren Kindern zunächst komplett ignoriert. Nur wenn die gesellschaftliche Perspektive und Kompetenz von Frauen mitgedacht werden, haben wir eine am Gemeinwohl orientierte Krisenpolitik. Wir brauchen gerade jetzt nachhaltige Maßnahmen für eine geschlechtergerechte Gesellschaft.

Frauen sind in Entscheidungsgremien dramatisch unterrepräsentiert

Krisenzeit ist Männerzeit. Die Entscheidungsträger, Virologen, Chefärzte in Kliniken/Pflegeeinrichtungen, die Vielzahl der Ökonomen, die in der Krise medial dominierenden Ministerpräsidenten und Mitglieder in wissenschaftlichen Beratungsgremien – fast alles weiße ältere Männer. Im regelmäßig tagenden Corona-Kabinett der Bundesregierung gibt es für die Bundesfrauen- und -familienministerin Dr. Franziska Giffey keinen festen Platz. An den Empfehlungen der Leopoldina zur schrittweisen Rückkehr in die gesellschaftliche Normalität arbeiteten in einem Gremium aus 26 Wissenschaftler*innen ganze zwei Frauen mit. Es wundert daher nicht, dass das Papier Perspektiven von Alleinerziehenden und Familien mit Kindern gänzlich ignoriert. Als Antwort auf das Leopoldina-Papier haben 43 Wissenschaftlerinnen eine eigene Stellungnahme formuliert, in der sie das hohe Belastungspotenzial durch die Kitaschließungen anmahnen. Diese Erkenntnisse müssen in politisches Handeln einfließen und Frauen müssen bei wichtigen Entscheidungen mit am Tisch sitzen.

Unserer Gesellschaft droht ein Rückfall in veraltete Rollenbilder

Die Stilllegung des öffentlichen Lebens und die Einschränkung von Grundrechten ziehen weitere Folgen nach sich, die spezifische Auswirkungen auf Frauen haben. Wichtige gesellschaftliche Vorhaben wie die existenzsichernde Erwerbstätigkeit von Müttern und partnerschaftlich organisierte Sorgearbeit wurden von heute auf morgen zurück in die private Verantwortung katapultiert. Frauen werden wie selbstverständlich in die Rolle der sorgenden Mütter im trauten Heim zurückgedrängt. Es ist zu befürchten, dass die Krise die Unterschiede zwischen Frauen und Männern in vielen Bereichen nachhaltig vergrößern wird und wir einen Rückfall in veraltete Rollenbilder erleben.

Was jetzt getan werden muss:

Auf die aktuellen Tendenzen hin zu einer Retraditionalisierung muss mit gleichstellungspolitischen Maßnahmen für MEHR Geschlechtergerechtigkeit reagiert werden. Das Ziel: Die Krise nicht nur sozial und ökologisch, sondern auch geschlechtergerecht bewältigen. Dafür ist die frauenpolitische Perspektive ab sofort bei allen politischen Entscheidungen zu berücksichtigen, auch und insbesondere dann, wenn es um die Verteilung von Finanzmitteln geht. Frauen müssen sozial abgesichert sein, wenn sie in der Krise Leistungen unentgeltlich erbringen. Im Erwerbsleben müssen sie durch eine verlässliche Kinderbetreuung mit Corona-Schutzkonzept unterstützt werden.

Die Vorhaben für eine strukturelle, institutionalisierte Gleichstellungspolitik aus dem Koalitionsvertrag müssen jetzt zügig umgesetzt werden. Dazu gehört z.B. das Bundesinstitut für Gleichstellung. Dieses hat das Potential, ein Ort für eine unabhängige Beratung und Vermittlung einer ressortübergreifend gedachten Gleichstellungspolitik zu werden. Damit gleichstellungspolitische Vorhaben besser konzipiert, umgesetzt und begleitet werden, ist die Etablierung einer unterstützenden Struktur mit guter Ausstattung notwendig. Die Beratung von politischen Entscheidungsinstanzen oder Expert*innenengremien durch ein solch unabhängiges Institut würde die Berücksichtigung der Lebenswirklichkeiten von Frauen bei politischen Entscheidungen gewährleisten.

Der politische Umgang mit der Pandemie führt uns außerdem vor Augen: Gleichstellung als gesamtgesellschaftliches Projekt gehört immer an den Kabinettstisch und in alle weiteren Gremien der Krisenbewältigung. Gleichstellung wird erst durch verbindliche Instrumente im Rahmen einer Gesetzesfolgenabschätzung sowie mithilfe von gut ausgestatteten Institutionen krisenfest.

Wir fordern:

  • Bei jeder Finanzausgabe überprüfen, welche unterschiedlichen Auswirkungen sie auf das Leben von Frauen und Männern hat und ob sie zur tatsächlichen Gleichstellung beiträgt
  • Geschlechtergerechte Besetzung entscheidungsgebender wissenschaftlicher und politischer Gremien der Krisenbewältigung
  • Berufung von Bundesfrauenministerin Giffey als festes Mitglied in das Corona-Kabinett
  • Umsetzung aller gleichstellungspolitischen Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag: z.B. Abstimmung einer verbindlichen ressortübergreifenden Gleichstellungsstrategie, Gründung eines Bundesinstituts für Gleichstellung und Reform des Führungspositionengesetzes
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