Geschlechteraspekte beim klimagerechten Bauen und Wohnen

Thema "Klimagerechtigkeit" | 30. August 2023

In Deutschland entfallen rund 40 Prozent der CO2-Emissionen auf den Bau und die Nutzung von Gebäuden.[i] Um die Klimaschutzziele der Bundesregierung zu erreichen, muss vor allem der Gebäudebestand energetisch saniert und mit Heizungssystemen auf der Basis erneuerbarer Energieträger ausgestattet werden.[ii] Bedingt durch geringere Einkommen im gesamten Lebensverlauf und anderer Bedürfnisse an die Raumwärme sind Frauen deutlich stärker von hohen Energiekosten betroffen als Männer und haben weniger Möglichkeiten, die Kosten durch Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz zu senken.

Fünf Prozent des Einkommens für Energie

Gerade Haushalte mit geringem Einkommen – zu einem hohen Anteil Frauen, Alleinerziehende und Rentnerinnen[iii] – leben in Gebäuden mit schlechten energetischen Standards und höherer Belastung durch ungesunde Wohnverhältnisse, z.B. durch Luftverschmutzung und Lärmbelastung.[iv] Sie müssen mit rund 5 Prozent mehr als vier Mal so viel von ihrem Einkommen für Energie aufwenden als die einkommensstärksten Haushalte mit 1,1 Prozent.[v] Frauen haben eine höhere sogenannte „Komforttemperatur“, die nicht nur beim Heizen im Winter, sondern ebenso bei der Kühlung von Räumen im Sommer eine Rolle spielt.[vi] Für diejenigen, die Sorgearbeit leisten, meist Frauen, ist die Wohnung gleichzeitig der Arbeitsort. Sie halten sich länger in den Wohnungen auf und haben dadurch zusätzlich einen höheren Bedarf an Heizenergie.[vii]

Staatliche Unterstützung für alle statt zielgerichtete Maßnahmen

Mit der CO2-Bepreisung fossiler Energieträger für die Bereiche Wärme und Verkehr – und nochmal dramatisch verschärft durch die Steigerung der Energiepreise infolge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine – sind die Heizkosten immens gestiegen. Mit unterschiedlichen Mitteln versucht die Bundesregierung, insbesondere seit Beginn des Krieges, die Bürger*innen vor steigenden Energiepreisen zu schützen. Das sogenannte Energiegeld beispielsweise wurde als Sonderzahlung an Steuerzahler*innen, Rentner*innen, Minijobber*innen und Student*innen ausgezahlt, unabhängig von der Höhe ihres Einkommens und der realen Bedürftigkeit. Das heißt, Geringverdienende mit Bezahlung auf Mindestlohnniveau erhalten vor Steuern den gleichen Betrag wie der überdurchschnittlich bezahlte Manager. Für die einen bedeutet das, dass die durch hohe Energiepreise verursachten Kosten nicht gedeckt werden können und die Sorgen vor Abschaltung der Strom- und Gaszufuhr bleiben. Für besser Verdienende sind die hohen Energiepreise maximal ärgerlich, die Sonderzahlung macht sich beim verfügbaren Einkommen kaum bemerkbar. Denjenigen, die Unterstützung am dringendsten benötigen, wie z.B. gering verdienende Frauen, Alleinerziehende und Rentnerinnen, hilft der Betrag nur sehr begrenzt. Ihre ohnehin geringen finanziellen Ressourcen für energiesparende Maßnahmen im Haushalt werden weiter belastet, durch die steigende Inflation fällt die Wirkung der unzureichenden Zahlungen noch geringer aus. Das zeigen auch aktuelle Untersuchungen zu den Verteilungswirkungen: Lediglich die untersten zehn Prozent der Einkommen werden voll entlastet, alle anderen müssen einen mehr oder weniger großen Teil der Mehrkosten alleine schultern. Dabei ist die Inflation nicht eingerechnet.[viii]

Gestiegene Energiekosten treffen besonders Rentner*innen schwer

In selbstgenutzten Ein- und Zweifamilienhäusern treffen gestiegene Energiekosten besonders Rentner*innen schwer, die in Häusern leben, die in den Jahren 1949-1990 gebaut wurden und den schlechtesten Effizienzstandard aufweisen.[ix] Aufgrund der knapp fünf Jahre höheren Lebenserwartung[x] von Frauen ist zu vermuten, dass ihr Anteil hoch ist. Die Kosten für die energetische Sanierung müssen mit 80 bis 85 Prozent bislang selbst getragen werden. Aufgrund des Gender Pension Gaps sind sie eine besonders vulnerable Gruppe, der die finanzielle Ausstattung, der Zugang zu Kapital und oft auch zu Informationen fehlt. Hier gilt es, zielgruppenspezifische finanzielle und informierende Förderprogramme einzurichten, die es in anderen Ländern bereits gibt, wie z.B. in Österreich oder Frankreich.[xi]

Wohnraum sozial gerechter verteilen

Außerdem ist die Wohnfläche dieser Rentner*innenhaushalte im selbstgenutzten Einfamilienhauseigentum fast doppelt so groß wie die durchschnittlich pro Person in Deutschland genutzte Wohnfläche. Daher ist gleichermaßen nach Konzepten zu suchen, wie die Wohnflächen besser ausgenutzt werden können, z.B. durch Konzepte wie „Wohnen für Hilfe”, mit denen Studierenden Wohnraum bei Senior*innen gegen Hilfe im Alltag angeboten wird,[xii] durch Einrichtung von Altenwohngemeinschaften oder Anregung des Umzugs in kleinere Wohnungen.[xiii] Damit können nicht nur die Energiekosten gesenkt und Energiearmut verhindert werden, sondern auch Wohnraum sozial gerechter verteilt werden.

Für den Ausbau speziell von Heizungssystemen mit erneuerbaren Energien plant die Bundesregierung ab dem 1. Januar 2024, möglichst jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien zu betreiben. Sie verspricht dabei „unbillige Härten“ zu vermeiden und „sozialen Aspekten angemessen Rechnung zu tragen; auch für Mieter*innen“. [xiv] Inwieweit dies bedarfsgerecht gelingen wird, bleibt abzuwarten und wird im Einzelnen zu prüfen sein.

Der Deutsche Frauenrat fordert:
  • Sozialverträgliche Stärkung der Effizienz und Suffizienz im Gebäude- und Energiebereich und Schärfung des Bewusstseins für ressourcenschonenden Verbrauch.
  • Analyse der Maßnahmen zur energetischen Gebäudesanierung hinsichtlich ihrer Geschlechterwirkung.
  • Zielgenaue und bedarfsgerechte Auflegung von Kompensations- und Fördermaßnahmen, die einkommensschwache Haushalte, insbesondere Alleinerziehende und Rentner*innen, langfristig entlasten.
  • Kopplung von Förderungen für die energetische Sanierung und den Heizungsumbau an die Höhe des Einkommens und/oder an eine maximale Größe der genutzten Wohnfläche.
  • Berücksichtigung der Geschlechterperspektive bei allen von der Bundesregierung geförderten Forschungsvorhaben im Gebäudebereich, der Stadtentwicklung und Regionalplanung und disaggregierte Datenerhebung nach Geschlecht und weiteren intersektionalen Diskriminierungsachsen.

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Fussnoten

[i] BBSR – Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) (Hg.) (2020): Umweltfußabdruck von Gebäuden in Deutschland. Kurzstudie zu sektorübergreifenden Wirkungen des Handlungsfelds „Errichtung und Nutzung von Hochbauten“ auf Klima und Umwelt. BBSR-Online-Publikation Nr. 17/2020, S. 17, https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/veroeffentlichungen/bbsr-online/2020/bbsr-online-17-2020-dl.pdf?__blob=publicationFile&v=3, (Abruf 15.12.22).

[ii] Bundesumweltamt (o.J.): Energiesparende Gebäude, https://www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/energiesparen/energiesparende-gebaeude#studien, (Abruf 15.12.22); Bundestagswahl 2021 (2022): Alle Wahlprogramme für die Bundestags­wahl 2021, https://www.bundestagswahl-bw.de/wahlprogramme-2021, (Abruf 15.12.2022).

[iii] Statista (2021): Frauen und Männer in Deutschland nach Nettoeinkommen im Vergleich mit der Bevölkerung im Jahr 2021, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/290399/umfrage/umfrage-in-deutschland-zum-einkommen-von-frauen-und-maennern/, (Abruf 03.02.2023).

[iv] Berliner Mieterverein (2011): Berliner Modelluntersuchung: Weniger Einkommen – mehr Umweltbelastung,

https://www.berliner-mieterverein.de/magazin/online/mm1211/121124.htm, (Abruf: 15.12.2022); Eurostat Databrowser, https://ec.europa.eu/eurostat/de/web/income-and-living-conditions/data/database, (Abruf 7.11.2022).

[v] Umweltbundesamt (2022): CO2-Bepreisung im Verkehrs- und Gebäudebereich sozialverträglich gestalten. Herausforderungen, Strategien, Instrumente. Climate Change 47/22, https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/2022-12-21_climate-change_47-2022_co2-bepreisung_verkehrs-gebaeudebereich_sozialvertraeglich_bf.pdf, (Abruf 3.2.2023).

[vi] Röhr, Ulrike/Alber, Gotelind/ Göldner, Lisa (2018): Gendergerechtigkeit als Beitrag zu einer erfolgreichen Klimapolitik: Forschungsreview, Analyse internationaler Vereinbarungen, Portfolioanalyse. UBA-Texte 23/2018, S. 42 f., https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/2018-03-15_texte_23-2018_gender-klima.pdf, (Abruf 15.12.2022).

[vii] Elnakat, Afamia/ Gomez, Juan D. (2015): Energy engenderment: An industrialized perspective as-sessing the importance of engaging women in residential energy consumption management. In: Energy Policy 82, S. 166-177.

[viii] Umweltbundesamt (2022), a.a.O.; Öko-Institut (2022): Energiepreiskrise: Wie sozial und nachhaltig sind die Entlastungspakete der Bundesregierung? https://www.oeko.de/aktuelles/2022/energiepreiskrise-wie-sozial-und-nachhaltig-sind-die-entlastungspakete-der-bundesregierung, (Abruf 3.2.2023).

[ix] Schumacher, Katja/ Nissen, Christian/ Braungardt, Sibylle (2022): Energetische Sanierung schützt Verbraucher*innen vor hohen Energiepreisen – Vorschläge für eine soziale Ausrichtung der Förderung Sanierungskosten und Förderbedarf für vulnerable Hauseigentümer*innen. S. 8 ff., Öko-Institut (Hg.), Freiburg, https://www.oeko.de/fileadmin/oekodoc/Kurzstudie-Sanierung-Ein–und-Zweifamilienhaeuser.pdf, (Abruf 15.12.2022).

[x] Destatis (2022): Sterbefälle und Lebenserwartung, https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Sterbefaelle-Lebenserwartung/_inhalt.html, (Aufruf 21.12.2022).

[xi] Schumacher et al. (2022), a.a.O., S. 23.

[xii] Deutsches Studentenwerk (o.J.): Wohnen für Hilfe, https://www.studentenwerke.de/de/content/wohnen-f%C3%BCr-hilfe, (Abruf 21.12.2022)

[xiii] Fischer, Corinna/ Stieß, Immanuel (2019): Wider den „verdeckten Leerstand“, Bedürfnisgerechte

und effiziente Wohnraumnutzung in Einfamilienhäusern. In: Schwerpunkt Planerin_6-2019. Schwerpunkt Planerin (Hg.), https://www.oeko.de/fileadmin/lebensraeume/Veroeffentlichung_Planerin_6-

2019.pdf, (Abruf 15.12.2022).

[xiv] Koalitionsausschuss (2023): Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung vom 28.3.2023, S. 16., https://www.spd.de/aktuelles/detail/news/modernisierungsturbo-fuer-deutschland/29/03/2023, (Abruf 20.4.2023).

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