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„Wir brauchen ein Paritätsgesetz“ – im Gespräch mit Elke Ferner

Debatte | 14. März 2018

Elke Ferner ist seit 2004 Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF). Seit 2002 ist die gebürtige Saarländerin Mitglied des Deutschen Bundestags, seit 2013 Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Elke Ferner war Teil der Arbeitsgruppe Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die am Vertrag der Großen Koalition gearbeitet hat.

Elke Ferner, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF).

Eine neue Dynamik für unser Land – so lautet eine der Überschriften des Koalitionsvertrags von CDU/CSU und SPD. Frau Ferner, wie soll diese Dynamik aussehen?
Das eine sind die politischen Maßnahmen, die die Dynamik in die Gesellschaft reinbringen. Das passiert ja leider nicht immer von selbst. Das sehen wir beim Unwillen der Unternehmen, wenn es um Zielvorgaben für Führungspositionen geht. Aber auch die Zivilgesellschaft hat genug Dynamik, um Dinge voranzutreiben. Das haben wir bei der „Nein heißt Nein“-Debatte gesehen. Wenn sich alle einig sind, kann viel bewegt werden. Diese Einigkeit und auch den Willen zur Durchsetzung – beides brauchen wir auch, wenn es um Entgeltgleichheit und Frauen in Führungspositionen geht. Auch in der Privatwirtschaft müssen wir mehr für Frauen in Führungspositionen bringen, das dürfen wir nicht auf den öffentlichen Bereich beschränken. Beim Thema Gleichstellung hätten wir deutlich mehr erreichen können, wenn die Union nicht weitere Fortschritte blockiert hätte. Dennoch haben wir mit dem Koalitionsvertrag eine gute Grundlage für die nächste Wahlperiode.

Sie haben jahrelange Erfahrung in der Frauen- und Gleichstellungspolitik. Wie beurteilen Sie den aktuellen Stand in Deutschland?
Die größten Erfolge der letzten Wahlperiode waren der Einstieg in eine Quote für Aufsichtsräte, das Lohntransparenzgesetz, die ganzen Vereinbarkeitsfragen und die Antworten darauf wie zum Beispiel das Elterngeld Plus. Die Sexualstrafrechtsreform, das war ein Meilenstein. Nach acht Jahren Stillstand zuvor reicht es aber natürlich nicht aus, sich auf den Erfolgen der letzten Wahlperiode auszuruhen und weitere Fortschritte zu blockieren. Im europäischen Vergleich liegen wir in Sachen Geschlechtergleichstellung unterhalb des Durchschnitts. Deutschland kann mehr, aber man muss auch mehr wollen.

Teil des Koalitionsvertrags ist eine Bundesstiftung, die sich wissenschaftlich fundiert insbesondere Fragen der gerechten Partizipation von Frauen in Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft widmen soll. Warum eine Stiftung?
Das war der klassische Kompromiss. Der Inhalt war von uns, die Rechtsform war Vorschlag der Union. Durch die Rechtsform einer Stiftung ergeben sich mehr Möglichkeiten: Zusätzlich zu den jährlichen Zuwendungen aus dem Bundeshaushalt können die Mittel durch Zustiftungen verbreitert werden. Inhaltlich handelt es sich um eine Transferstelle, wie sie im zweiten Gleichstellungsbericht gefordert wird. Ein Think Tank, der nicht nur die Politik, sondern die Gesellschaft insgesamt berät und Erkenntnisse der Wissenschaft ins reale Leben transferiert. Wir haben diese Forderung in unserem Wahlprogramm aufgegriffen. Das war auch bis zum Schluss ein harter Punkt in den Verhandlungen. Die Union ist letztlich drauf eingegangen und hat den Vorschlag gemacht, das als Bundesstiftung umzusetzen – und das war uns nur recht.

Gleichstellung ist im Koalitionsvertrag als Querschnittsaufgabe benannt – wie unterscheidet sich das von der gemeinsamen Geschäftsordnung der Ministerien?
Das Neue daran ist, dass nicht nur jedes Ministerium Gender Mainstreaming anwenden muss. Die Querschnittsaufgabe bedeutet, dass die Ministerien sich besser aufeinander abstimmen müssen und auch über gemeinsame Initiativen nachdenken müssen, die die Gleichstellung voranbringen.

Welche neuen Punkte beinhaltet das Aktionsprogramm Gewalt gegen Frauen?
Zum ersten Mal erklärt sich die Bundesebene für verantwortlich, wenn es um das Hilfesystem für von Gewalt betroffene Frauen geht. Wir wollen ein Bundesprogramm für Investition und Innovation auflegen, um die Länder, die dafür zuständig sind, zu unterstützen. Das können und wollen wir nicht ohne die Länder und nicht ohne die Akteurinnen vor Ort machen. So ist auch der Runde Tisch zu verstehen. Dort sollen die bestehenden Herausforderungen besprochen werden. Wir wissen, dass aktuell Frauen nicht überall und jederzeit Schutz und Hilfe bekommen. Neben der Schließung der Lücken im Hilfesystem geht es auch um die Herstellung von Barrierefreiheit, um unterschiedliche Angebote in Ballungs- und ländlichen Räumen. Und es geht um die Umsetzung der Istanbul-Konvention und eine Öffentlichkeitskampagne, die das gesellschaftliche Klima für die Ächtung von Gewalt an Frauen schafft.

Das Verbandsklagerecht ist kein Teil des Koalitionsvertrags. Warum nicht?
Die Union hat ganz klar gesagt, sie möchte keine zusätzliche Belastung der Wirtschaft. Das war übrigens auch der Originalton, als es um mehr Frauen in Führungspositionen ging. Für uns sind mehr Frauen in Führungspositionen und Entgeltgleichheit keine Belastung der Wirtschaft, sondern ein Gewinn für die Gesellschaft. Wenn Ihr Gegenüber mit so einer Einstellung in solche Verhandlungen geht, können Sie mit dem Kopf gegen die Wand rennen, und es ändert sich nichts. Es ist wirklich bedauerlich, dass gerade bei diesem Thema in unserer Arbeitsgruppe so wenig passiert ist.

Die wirtschaftlichen Interessen stehen also vor den Interessen von Menschen, die Diskriminierungen ausgesetzt sind?
Ja, die Union hat hier einfach nur im Sinne der ArbeitgeberInnen agiert und nicht im Sinne der Gerechtigkeit und zum Vorteil der Frauen. Es ist nicht gerecht, wenn für gleiche Arbeit nicht der gleiche Lohn gezahlt wird. Und dann wird es den Frauen auch noch unnötig schwer gemacht, zu ihrem Recht zu kommen. Denn wer sein Geld haben will, muss den oder die ArbeitgeberIn verklagen. Wer den Job behalten will, wird das ohne Verbandsklagerecht nicht tun.

Was meinen Sie, wie lange wir noch auf eine Reform des Ehegattensplittings warten müssen?
Ich weiß es wirklich nicht und weiß mir da auch wirklich nicht mehr zu helfen. Wir sind gar nicht mehr in die Details eingestiegen, weil die CSU so zugemacht hat. Es war noch nicht einmal möglich, die Steuerlast gerechter zwischen den Eheleuten zu verteilen und die Steuerklasse IV mit Faktor zur Regelbesteuerung zu machen und die Steuerklassenkombination III/V abzuschaffen. Noch nicht einmal kleinste Schritte waren machbar. Da kommen wir einfach aus unterschiedlichen Welten.

Am Beispiel Alleinerziehender zeigt sich die soziale Schieflage in der Gesellschaft. Das Wort kommt nur drei Mal vor auf insgesamt 167 Seiten Koalitionsvertrag. 25 Euro mehr Kindergeld kommen bei Alleinerziehenden eher nicht an.
Es stimmt, dass das Wort Alleinerziehende nur dreimal vorkommt. Aber es gibt zahlreiche Maßnahmen, die Alleinerziehende besonders unterstützen. Die Erhöhung des Kinderzuschlags und die Abschaffung der Abbruchkante beim Kinderzuschlag helfen insbesondere den Alleinerziehenden, die zwar für sich selbst genug verdienen, aber nicht genug für ihre Kinder. Wir wollen auch dafür sorgen, dass alle Anspruchsberechtigten den Kinderzuschlag bekommen. Auch die Mindestrente wird vielen Alleinerziehenden helfen, wenn es darum geht, dass sie jahrelang gearbeitet und dabei einen hohen Anteil an Teilzeitarbeit in ihrer Erwerbsbiographie haben. Und auch der Rückkehranspruch von Teilzeit auf Vollzeit kommt Alleinerziehenden zugute.

Auf Twitter haben Sie einen Stern-Artikel von Ulrike Posche retweetet, in dem sie über Andrea Nahles schreibt: „Hätte es parallel zum Aufstieg der designierten Parteichefin mehr Frauen in der Politikberichterstattung und in den Talkshows gegeben, wäre sie heute möglicherweise schon Kanzlerin. Steile These, stimmt aber.“
Genau! Wie es in der Politik und der Wirtschaft diese Männernetzwerke gibt, so gibt es sie auch im Journalismus. Die Wahrnehmung von Frauen und Männern ist höchst unterschiedlich. Wenn eine Frau zielstrebig und machtbewusst ist, ist sie karrieregeil. Der Mann mit den gleichen Eigenschaften ist einfach nur leistungsbereit. Es regt mich ziemlich auf, dass bei zwei Menschen, die das Gleiche tun, noch immer die alten Rollenklischees durchschlagen.

Stichwort Parität. Der Deutsche Frauenrat fordert die paritätische Verteilung der Kabinettsmitglieder – auch auf der Ebene aller StaatssekretärInnen. Wann können wir damit rechnen?
Die SPD hat auch dieses Mal wieder paritätische Personalvorschläge gemacht. Aber das ist ja nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist die Geschlechterverteilung im Parlament. Wir haben zum ersten Mal die Situation, dass der Frauenanteil im Parlament geringer ist als in der vorangegangenen Wahlperiode – und das im 100. Jahr des Frauenwahlrechts. Wenn es um eine Wahlrechtsänderung geht, müssen wir Pflöcke einschlagen. Wir brauchen ein Paritätsgesetz wie wir es in zahlreichen EU-Ländern, Frankreich oder Luxemburg, schon haben. Die Parlamente müssen auch die Geschlechterverteilung in der Gesellschaft widerspiegeln.

Wenn Sie einen Punkt nachträglich in den Koalitionsvertrag schreiben könnten – welcher wäre das?
In der Gleichstellungspolitik geht es vor allem darum, dass man wirklich Geschlechtergerechtigkeit will. Da gibt es nicht nur die eine Maßnahme – sondern viele, die aufeinander abgestimmt werden müssen. Daher würde ich nicht nur eine Maßnahme in den Koalitionsvertrag schreiben, sondern dass alle Ministerien eine geschlechtergerechte Politik machen.

Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Mareice Kaiser.

Das Gespräch mit Annette Widmann-Mauz finden Sie hier.

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