Die feministischen Wirtschaftswissenschaften widmen sich in ihrer Bandbreite und ihren vielfältigen Zugängen den Leerstellen und offenen Fragen, die die klassischen Wirtschaftswissenschaften unbearbeitet lassen (vgl. Yollu-Tok/Rodríguez Garzón 2018). Aus der Beschäftigung mit der feministischen Ökonomik heraus begannen Wirtschaftswissenschaftlerinnen ab den 1990er-Jahren, sich national und international zu vernetzen. 1992 wurde die International Association for Feminist Economics (IAFFE) gegründet, und es etablierte sich international eine eigenständige „Forschungsrichtung innerhalb der Wirtschaftswissenschaften” (Bauhardt/Çağlar 2010: 7). Um die androzentrisch dominierten Wirtschaftswissenschaften zu durchbrechen, die vorgebliche Geschlechtsneutralität dieser Wirtschaftsideen zu hinterfragen und unsichtbare wirtschaftliche Beiträge wie unbezahlte Sorgearbeit sichtbar zu machen, legt die feministische Ökonomik in der Regel ein „Wissenschaftsverständnis zu Grunde, das ganz bewusst normativ und politisch geprägt ist.” (Thieme 2017: 108). Trotz dieser gemeinsamen Grundlagen existiert bisher weder ein eigenständiger Theorie- oder Forschungsbereich zur feministischen Wirtschaftspolitik noch ist eine einheitliche Übersetzung und Vorstellung angewandter feministischer Wirtschaftspolitik vorhanden. Jedoch gibt es zahlreiche Forschungsarbeiten, Organisationen und politische Initiativen, die feministische Prinzipien und Perspektiven in die Gestaltung von Wirtschaftspolitik einbeziehen. Diese Ansätze zielen darauf ab, geschlechtsspezifische Ungleichheiten zu identifizieren, zu adressieren und die Politikgestaltung so zu verändern, dass sie die Bedürfnisse und Interessen aller Geschlechter berücksichtigt.
Das Ziel dieser Expertise ist es, Kernpunkte einer feministischen Wirtschaftspolitik herauszuarbeiten, indem die Gemeinsamkeit unterschiedlicher theoretischer Zugänge im Bereich der feministischen Ökonomik als Grundlage herangezogen werden (Yollu-Tok/Rodríguez Garzón 2018): Diese Gemeinsamkeit liegt – wie beschrieben – in der gemeinsamen Kritik an der androzentrischen Ausrichtung der Wirtschaftswissenschaften. Die traditionelle Wirtschaftspolitik basiert oft auf einem männlich geprägten Paradigma und historisch gewachsenen Denkmustern, die nicht-männliche Lebensrealitäten oder Erfahrungen ausblenden oder an den Rand drängen. So werden Frauen und andere marginalisierte Gruppen auch heute noch oft in wirtschaftspolitischen Analysen und Politikgestaltungen vernachlässigt, wodurch geschlechtsbezogene Unterschiede und Herausforderungen nicht angemessen berücksichtigt werden. Daraus ergibt sich die zentrale Forderung feministischer Wirtschaftspolitik, Frauen aus einer intersektionalen Perspektive sowohl in bestehende Theorien als auch in die praktizierte Wirtschaftspolitik zu integrieren.
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