Der Außenhandel ist eine der Schlüsselkomponenten im Prozess der Globalisierung, da er die weltweite Verflechtung von Volkswirtschaften fördert und zu einem immer stärker vernetzten und wechselseitig abhängigen, globalen Wirtschaftssystem beiträgt. Außenhandel bezeichnet den Austausch von Waren und Dienstleistungen über nationale Grenzen hinweg zwischen verschiedenen Ländern. Er ist ein wesentlicher Bestandteil der globalen Wirtschaftstätigkeit und ermöglicht es Ländern, so das Konzept, ihre Ressourcen effizient zu nutzen, ihre Produktionskapazitäten zu erweitern und Zugang zu Gütern und Dienstleistungen zu erhalten, die sie selbst nicht oder nur zu höheren Kosten produzieren können. So entstehen globale Wertschöpfungsketten, d.h. Entwicklung, Produktion, Verkauf und Versand von Produkten können über nationale Grenzen hinweg erfolgen. Es handelt sich um Netzwerke von Unternehmen und Produktionsstätten sowie deren Beschäftigte, die weltweit miteinander verbunden sind, wobei idealerweise jedes Land seine spezifischen Vorteile, Ressourcen und Fachkenntnisse einbringt. Der Außenhandel umfasst sowohl Exporte (Ausfuhren von Waren und Dienstleistungen aus einem Land) als auch Importe (Einfuhren von Waren und Dienstleistungen in ein Land). Durch den internationalen Handel können Länder ihre Wirtschaften diversifizieren, ihre Produktivität steigern und ihr Wirtschaftswachstum fördern (vgl. Kapitel 1).
Die Außenhandelspolitik ist ein Bereich, der das Leben aller Menschen weltweit tangiert und tiefgreifende Auswirkungen auf die Art und Weise hat, wie sie als ökonomische Akteur*innen in den Markt eingebunden sind. Eine feministische Außenhandelspolitik unterstreicht diese Bedeutung und plädiert dafür, dass der Außenhandel die Menschen- und Frauenrechte respektieren muss.
Obwohl die Außenwirtschaftslehre ein wichtiges Instrument zur Analyse globaler wirtschaftlicher Interaktionen darstellt, offenbart sie erhebliche Defizite bei der Einbeziehung von Geschlechterperspektiven. Sie neigt dazu, geschlechtsbezogene Ungleichheiten zu vernachlässigen, indem sie alle Individuen gleichbehandelt. Diese Gleichsetzung ignoriert jedoch die realen Unterschiede und Benachteiligungen, die Frauen und andere marginalisierte Gruppen in Wirtschaft und Handel erleben (vgl. Kapitel 1-5). Insbesondere durch die Aggregation von Daten und die Analyse auf Makroebene signalisiert sie eine vermeintliche Geschlechtsneutralität. Dabei blendet sie geschlechtsspezifische Dynamiken aus, die auf individueller und mikroökonomischer Ebene wirken, wie beispielsweise den untergeordneten ökonomischen Status von Frauen in all ihrer Vielfalt, sowohl bei der bezahlten als auch bei der unbezahlten Arbeit. Dies führt zu einer Verzerrung der Realität und einer unvollständigen Analyse der globalen wirtschaftlichen Dynamiken (vgl. dazu Sproll 2020). Die geschlechtsbezogene Lücke in der Außenhandelslehre manifestiert sich ebenso in der Umsetzung der realen Außenhandelspolitik. Trotz der zunehmenden Bedeutung des internationalen Handels für die globale Wirtschaft bleiben geschlechtsspezifische Aspekte nicht nur in den theoretischen Grundlagen, sondern auch in den praktischen Anwendungen der Außenhandelspolitik oft unberücksichtigt. Diese Unterlassung hat zur Folge, dass die potenziellen Auswirkungen von Handelsabkommen und -strategien auf Frauen und andere marginalisierte Gruppen nicht angemessen berücksichtigt werden. Eine feministische Perspektive in der Außenhandelspolitik trägt dazu bei, diese Lücke zu schließen, indem sie die geschlechtsbezogenen Auswirkungen von Handelsmaßnahmen analysiert und politische Maßnahmen einfordert, die die Gleichstellung der Geschlechter fördert und Ungleichheiten abbaut.
Im Jahr 2023 verzeichneten deutsche Unternehmen erneut einen Exportüberschuss; sie exportierten Waren im Wert von 1.562,4 Milliarden Euro und importierten Waren im Wert von 1.352,8 Milliarden Euro (Statistisches Bundesamt 2024c). Die Rangfolge der wichtigsten Exportgüter bleibt unverändert, wobei Kraftwagen und Kraftwagenteile weiterhin den ersten Platz einnehmen. Der Frauenanteil an den Beschäftigten der Automobilindustrie lag im Jahr 2021 aber lediglich bei 30 Prozent. Auf dem zweiten Platz der Exportgüter befinden sich Maschinenexporte, wobei der Frauenanteil an den Beschäftigten in der Branche Maschinenbau 2021 lediglich bei 17 Prozent lag. Die chemische Industrie belegt den dritten Platz bei den Exporten, wobei der Frauenanteil an den Beschäftigten in der Branche „Chemische Erzeugnisse“ im Jahre 2021 30 Prozent betrug (Pfahl et al. 2023b). Diese Zahlen legen nahe, dass Frauen in geringerem Maße von den Beschäftigungsmöglichkeiten, den Einkommenssteigerungen und anderen positiven Auswirkungen profitieren, die mit der starken deutschen Exportwirtschaft verbunden sind.
Die exportorientieren Branchen sind ein wichtiger Innovationstreiber für die deutsche Wirtschaft. Insbesondere in den Branchen mit einer hohen Exportrate ist die Innovationsintensität sehr ausgeprägt; sie wird definiert als der Anteil der Innovationsausgaben aller Unternehmen einer bestimmten Branche am Gesamtumsatz derselben. Im Jahr 2021 gehörten vor allem Fahrzeugbau, Maschinenbau und Chemieindustrie, zu den Top-10-Branchen mit der höchsten Innovationsintensität (ZEW 2022). Es ist aus feministischer Perspektive entscheidend, dass Frauen eine gleichberechtigte Rolle bei der Ausgestaltung von Innovations- und Technologiepolitik spielen, da dies ihre individuellen Chancen und Möglichkeiten beeinflusst: Eine geringe Beteiligung von Frauen in Bereichen, in denen technische Innovationen entwickelt werden, verstärkt geschlechtsspezifische Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt und kann zu einem weiteren Rückstand von Frauen in Bezug auf berufliche Entwicklungsmöglichkeiten, Einkommen und Chancen auf dem Arbeitsmarkt führen.
Der geringe Anteil von Frauen in technischen Innovationsbranchen, ist auch für die Branchen selbst nachteilig. Die Untersuchungen von Peña (2016) zeigen, dass eine geringere Diversität bei der Entwicklung neuer Ideen und Lösungen zu einem Nachlassen der Innovationsfähigkeit einer Volkswirtschaft führen kann: Wenn Frauen weniger Zugang zu den Bereichen der Innovation und Technologie haben, fehlen wichtige Impulse und Perspektiven; dies kann dazu führen, dass Volkswirtschaften innovative Möglichkeiten und Lösungen übersehen, die entscheidend für die Bewältigung aktueller Herausforderungen und die Förderung nachhaltigen Wachstums sind. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) hebt diesen Zusammenhang vor allem auf Unternehmensebene hervor (International Labour Office. Bureau for Employers’ Activities 2019) und verdeutlicht, dass ein verbesserter Zugang von Frauen für Unternehmen zahlreiche Vorteile mit sich bringt. Dazu gehören gesteigerte Produktivität, bessere Mitarbeiter*innengewinnung und -bindung sowie eine höhere Innovationskraft. Des Weiteren sind Unternehmen mit einem höheren Frauenanteil besser in der Lage, das Interesse und die Nachfrage der Verbraucher*innen einzuschätzen. Wenn Frauen hingegen einen beschränkten Zugang zu Bereichen haben, in denen Innovation und Technologie entwickelt werden, können wichtige gesellschaftliche Bedürfnisse und Herausforderungen übersehen werden (Oudshoorn et al. 2004).
Zu den wichtigsten Importgütern in Deutschland zählen beispielsweise Kraftwagenteile. Im Jahre 2022 wurden Kraftwagenteile und Kraftwagen im Wert von rund 132,4 Milliarden Euro importiert – der größte Handelspartner bei den Importgütern ist hierbei China (Statistisches Bundesamt 2023d). Etwa ein Drittel der Beschäftigten in der Industrie im globalen Süden sind weiblich, wobei in Asien Frauen fast die Hälfte der Arbeitskräfte ausmachen (Barrientos et al. 2004). Trotz dieses bedeutenden Anteils in der Produktion sind diese Frauen im globalen Handeln nicht sichtbar. Freiwald und Kirschenmann (2021) führen dies auf zwei Hauptaspekte zurück: Zum einen auf geschlechtsbezogene Datenlücken, die wiederum auf unvollständige Angaben über die Präsenz von Frauen in den verschiedenen Produktionsprozessen zurückzuführen sind. Zum anderen leisten Frauen oft unbezahlte Arbeit, die statistisch nicht erfasst wird und daher nicht in den offiziellen Statistiken berücksichtigt wird. Infolgedessen wird fälschlicherweise angenommen, dass Frauen kaum oder gar nicht im Bereich des globalen Handels präsent sind.
Frauen sind in vielen Branchen, die Teil globaler Wertschöpfungsketten sind, wie Textil-, Elektronik- oder Agrarindustrie, häufig in prekären oder atypischen Beschäftigungsverhältnissen sowie in informellen Sektoren tätig. Sie verdienen oft niedrige Löhne, arbeiten unter unsicheren Bedingungen (z.B. befristete Arbeitsverträge oder fehlender Arbeitsschutz) und haben möglicherweise keinen Zugang zu sozialen Sicherheitsnetzen (z.B. Anspruch auf Kranken- oder Arbeitslosengeld). Zudem können sie einem höheren Gesundheitsrisiko ausgesetzt sein, insbesondere in Branchen wie der Landwirtschaft oder der Textilindustrie. Mangelnde Gesundheitsversorgung und Sicherheit am Arbeitsplatz können zu Verletzungen, Unfällen, Krankheiten und langfristigen Gesundheitsproblemen der Beschäftigten führen. Die Unterschiede zeigen sich auch hier in der geschlechtlichen Segregation des Arbeitsmarktes: Frauen dominieren hauptsächlich im weniger gut bezahlten Dienstleistungssektor und in den Zuliefernetzwerken, während Männer eher in Unternehmen beschäftigt sind, die direkt exportieren (OECD 2018). Darüber hinaus sind Frauen in Entscheidungsprozessen, die z.B. etwas an den Arbeitsbedingungen entlang der Wertschöpfungsketten ändern könnten, unterrepräsentiert. Dies führt dazu, dass ihre Bedürfnisse und Interessen nicht angemessen berücksichtigt werden und sie weniger Einfluss auf die Bedingungen haben, unter denen sie arbeiten (Freiwald/Kirschenmann 2021).
Weiter zum Fazit Wirtschaftspolitik ist Gleichstellungspolitik
Zurück zum Kapitel Feministische Verteilungspolitik: Geschlechtergerechte Sozialpolitik stärken