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Feministische Geldpolitik: Datenlücken schließen

Thema "Wirtschaftspolitik" | 20. Juni 2024

Eine klassische Einordnung

Geldpolitik umfasst verschiedene Ebenen der Politikgestaltung. Erstens sind Zentralbanken und Geschäftsbanken wichtige Akteure bei der Umsetzung von Geldpolitik. Zweitens schließt Geldpolitik nachgelagerte Institutionen wie z.B. (private) Investor*innen mit ein. Drittens basiert eine erfolgreiche Geldpolitik darauf, dass das Finanzwissen (auf individueller Ebene z.B. für Konsument*innen oder Anleger*innen) breit zugänglich und verständlich ist.

Geldpolitik ist im europäischen Kontext seit 1999 (mit der Einführung der gemeinsamen Währung) nicht mehr nur auf nationaler Ebene, sondern supranational verankert. Geldpolitik bezeichnet die Strategien und Maßnahmen, die von Zentralbanken und nachgelagert von anderen geldpolitischen Institutionen ausgehen, um die Geldmenge und die Kreditbedingungen in einer Volkswirtschaft zu steuern. Dazu setzt sie verschiedene Instrumente wie die Festlegung von Leitzinsen, den An- und Verkauf von Wertpapieren auf dem Finanzmarkt (Offenmarktoperationen), die Mindestreserveanforderungen für Banken und gegebenenfalls auch Deviseninterventionen ein. Durch diese Maßnahmen versucht die Geldpolitik, ihre Ziele zu erreichen: Preisniveaustabilität und die Unterstützung der Wirtschaftsziele der Regierung, wie beispielsweise die Förderung von Wachstum und Beschäftigung. Für die Gesellschaft hat Preisniveaustabilität mehrere wichtige Auswirkungen: Wenn die Preisniveaustabilität stabil ist, bleibt die Kaufkraft der Menschen unverändert, und sie können ihre Bedürfnisse und Wünsche in Abhängigkeit ihres Einkommens befriedigen. Dies trägt auch das zu bei, dass Gefühl der sozialen Gerechtigkeit in der Gesellschaft zu stärken.

Eine feministische Einordnung

Feministische Geldpolitik untersucht, wie Geldpolitik die Geschlechterungleichheiten in der Wirtschaft beeinflusst und wie sie gezielt eingesetzt werden kann, um die wirtschaftliche Gleichstellung von Frauen und Männern zu fördern. Dabei geht es nicht nur darum, wie Geld ausgegeben wird, sondern auch darum, wie es entsteht, wer von den geldpolitischen Maßnahmen profitiert und wer benachteiligt ist. Insgesamt besteht ein dringender Bedarf an einer umfassenderen Datenbasis, die geschlechtsspezifische Aspekte der Geldpolitik insgesamt berücksichtigt und so den geldpolitischen Gender Data Gap (Datenlücke) überwindet. Der Gender Data Gap im Bereich der Geldpolitik bezieht sich auf das Fehlen oder die Unvollständigkeit von Daten, die geschlechtsspezifische Unterschiede und Auswirkungen auf die Geldpolitik dokumentieren. Dieser Mangel an geschlechtsspezifischen Daten kann dazu führen, dass geldpolitische Entscheidungen und Maßnahmen die unterschiedlichen Bedürfnisse und Auswirkungen auf Frauen und Männer zu wenig berücksichtigen. Die Überwindung dieses Gender Data Gaps ist daher entscheidend, um eine feministische Geldpolitik zu gestalten.

Investitionslücke

Die feministische Geldpolitik und -theorie (Knittler 2017) liefert Hinweise dafür, wie geldpolitische Maßnahmen nicht nur geschlechtsneutral konzipiert werden, sondern aktiv zur Förderung der Geschlechtergleichstellung beitragen können. Denn die narrative Einbettung (das Framing) von Geld – ob als Tauschmittel für Marktprozesse oder als Investitionsmittel für Infrastrukturprojekte – ist ausdrücklich politisch. Mit der Art und Weise, wie Zentralbanken die Geldmenge erhöhen oder reduzieren, sind Entscheidungen verknüpft wie Geld überhaupt verteilt oder ausgegeben wird. Deshalb ist es wichtig, über die Auswirkungen von geldpolitischen Instrumenten zu sprechen (Knittler 2017). Mary Mellor (2016) argumentiert, dass Geldpolitik nicht nur die Geldmengensteuerung betreffen sollte, sondern auch soziale Aufgaben erfüllen müsste. Sie schlägt vor, dass Zentralbanken „öffentliches Geld“ (public money) zur Verfügung stellen sollten, um wichtige Infrastrukturprojekte zu finanzieren, ohne dabei Schulden zu machen. Entsprechende Investitionsprojekte könnten dazu beitragen, dass zukünftige Generationen ebenfalls davon profitieren, ohne die finanziellen Belastungen zu erben. Ein Fokus kann dabei auf Bereiche wie Bildung und Gesundheitsversorgung gelegt werden. Wenn öffentliche Infrastrukturen in diesen Bereichen gut ausgestattet und nachhaltig finanziert sind, dann entlastet dies alle Menschen, aber vor allem diejenigen, die unbezahlte Sorgearbeit leisten – also Frauen und Mädchen. Ähnliche Ideen werden auch in Ansätzen der sogenannten Modern-Money-Theory formuliert: „Geld- und Fiskalpolitik verschmelzen, und beide werden zu einem Instrument der makroökonomischen Stabilisierung. Steuern werden – entgegen vorherrschenden Vorstellungen – nicht erhoben, über staatliche Ausgaben wird Geld, das von der Zentralbank bereitgestellt wird, geschaffen und in den Wirtschaftskreislauf gespeist.“ (Knittler 2017: 59f). Feministische Geldpolitik fokussiert demnach auf die Art der Geldschöpfung der Zentralbanken und auf die wirtschaftspolitisch gestaltende Funktion von Geld.

Inflationslücke

Insbesondere die unterschiedliche geschlechtsbezogene Kaufkraft von Frauen und Männern sowie die jeweils spezifischen Ausgabenmuster (z.B. Wohnen, Lebensmittel oder Getränke und Tabakwaren) verschiedener Bevölkerungsgruppen, werden von der feministischen Geldpolitik thematisiert und kritisch hinterfragt (Six/Witzani-Haim 2023). Die aktuelle Wirtschaftspolitik ignoriert geschlechtsbezogene Ungleichverhältnisse oder berücksichtigt diese unzureichend. Für die Inflationserwartungen, die durch die Europäische Zentralbank erhoben werden, wird deutlich, dass Frauen etwa einen höheren Anteil ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben und deshalb auf der individuellen Ebene anders von steigenden Lebensmittelpreisen betroffen sind als Männer (Di Nino et al. 2022). Vor allem untere Einkommensgruppen sind von inflationsbedingten Teuerungen alltäglicher Gebrauchsgüter wie Lebensmittel besonders stark betroffen. Um die geschlechtsbezogenen Auswirkungen von Teuerungen auszugleichen, ist es im ersten Schritt notwendig, die geschlechtsbezogenen Inflationswirkungen systematisch und intersektional zu erheben. Aktuell werden z.B. Konsumausgaben in Deutschland nur auf Haushaltsebene erfasst; eine Aufschlüsselung nach einzelnen Personen oder gar nach Geschlecht ist nicht vorhanden (Statistisches Bundesamt 2023a). Diesen Gender Data Gap gilt es zu schließen und geschlechtsbezogene Aspekte in die geldpolitische Entscheidungsfindung einzubeziehen sowie staatliche Mechanismen einzubauen, die geschlechtsbezogene Ungleichheiten auffangen.

Zudem haben die wirtschaftspolitischen Maßnahmen in Bezug auf den Inflationsausgleich geschlechtsbezogene Auswirkungen: Von der sogenannten Inflationsprämie können in Deutschland Arbeitnehmer*innen profitieren, wenn ihnen ihre Arbeitgeber*innen – noch bis Ende 2024 – bis zu 3.000 Euro Inflationsausgleich ausbezahlen. Allerdings ist diese Leistung durch die Arbeitgeber*innen freiwillig. Das bedeutet, dass der Inflationsausgleich nicht alle Menschen gleichermaßen erreicht. Es profitieren , die bezahlte Erwerbsarbeit haben. Im öffentlichen Dienst etwa bekommen Beschäftigte die Prämie anteilig zu ihrer Arbeitszeit (z.B. Teilzeit, Elternzeit) ausgezahlt. „Teilzeiterwerbstätigkeit ist dabei ein überwiegend weibliches Phänomen[…]. [D]ie Teilzeitquote von Frauen [lag, H.V.] in Westdeutschland mit 25 Prozent jedoch schon zu Beginn der 1990er Jahre deutlich höher und ist bis 2017 auf knapp 40 Prozent aller erwerbsfähigen Frauen gestiegen.“ (Gallego Granados et al. 2019: 846). Mit Blick auf die hohen Teilzeitquoten von Frauen, sind v.a. Arbeitnehmerinnen von dieser anteiligen Auszahlung betroffen, sie bekommen absolut weniger und dass, obwohl die (gestiegenen) Kosten für alle Personen dieselben sind.[1]

Kapitallücke

Ein weiterer wichtiger Bereich ist der geschlechtergerechte Zugang zum Kapitalmarkt im Allgemeinen, insbesondere aber auch im Hinblick auf die Finanzierung von Geschäftsgründungen. Gegenwärtig stoßen Gründerinnen oft auf Hindernisse bei der Beschaffung von Fremdkapital für ihre Unternehmen. So erhalten Gründerinnenteams seltener Startkapital oder ein geringeres als männliche Teams (Pistilli et al. 2023). Diese Schwierigkeiten können verschiedene Ursachen haben, darunter ungleiche Vergabekriterien, Vorurteile gegenüber Unternehmensgründerinnen sowie eine Unterrepräsentanz von Frauen in traditionell von Männern dominierten Finanzkreisen (BMFSFJ 2021).

Eine feministische Geldpolitik setzt sich daher dafür ein, diese und weitere geschlechtsbezogene Barrieren abzubauen und den Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten für alle Geschlechter zu erleichtern.

Ein weiterer Punkt der Geldpolitik betrifft die Kreditwürdigkeit, also den Zugang zu Finanzmitteln, der nicht nur für Gründer*innen, sondern auch für Privatpersonen von Relevanz ist. Für die Vergabe von Krediten werden von Geschäftsbanken im ersten Schritt häufig sogenannte algorithmische Systeme zur Beurteilung der Kreditwürdigkeit der potenziellen Kund*innen eingesetzt. Ein Algorithmus setzt sich aus verschiedenen Daten wie Geschlecht, Alter, Wohnort, Einkommen oder Eigenkapital zusammen. Am Ende liefert das algorithmische System auf Basis dieser Daten eine Empfehlung. Diese Systeme können allerdings Geschlechterdiskriminierung verstärken und zu unfairen Entscheidungen führen (Kelly/Mirpourian 2021): Daten, die zur Entwicklung des Algorithmus verwendet werden, können bereits Geschlechterdiskriminierung in der Kreditvergabe widerspiegeln, wenn sie beispielsweise historische Muster oder Vorurteile abbilden. Zum Beispiel können Daten früherer Kreditentscheidungen auf geschlechtsspezifischen Vorurteilen basieren, wie die Annahme, dass Frauen ein höheres Ausfallrisiko haben als Männer, oder sie können Frauen mit geringerem Einkommen oder unzureichendem Eigenkapital in Verbindung bringen. Wenn diese (historischen) Daten ohne angemessene Analyse und Berücksichtigung von Geschlechterbias in den Algorithmus einfließen, können sie dazu führen, dass der Algorithmus Kreditentscheidungen trifft, bei denen Frauen systematisch benachteiligt oder ihnen höhere Zinssätze zuwiesen werden.  Dies kann zu einem Teufelskreis führen, in dem bereits bestehende Ungleichheiten und Vorurteile im Kreditwesen verstärkt werden. Die Form der Diskriminierung, die bei der Sammlung und Gewichtung der Daten entsteht, ist oft im Endprodukt nicht erkennbar (BMFSFJ 2021). Es ist daher entscheidend, die Datenproblematik anzugehen und sicherzustellen, dass die Kreditbewertung gerecht und transparent erfolgt, unabhängig vom Geschlecht der Kreditnehmer*innen.

Wissenslücke

Angesichts der niedrigen Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt ist vor dem Hintergrund der ökonomischen Absicherung ihr Zugang zum Finanzmarkt von größerer Bedeutung. Frauen haben aber oft weniger Zugang zu Finanzprodukten und -dienstleistungen, verdienen weniger und sparen weniger für den Ruhestand. Und oft geht diese Benachteiligung mit weniger Finanzwissen und -kompetenz im Vergleich zu Männern einher (Haupt/Yollu-Tok 2018). Die Ausstattung mit diesem Wissen bzw. dieser Kompetenz ist aber insbesondere bei Themen wie gesetzliche und private Altersvorsorge, Investitionen in Form von Anlagen wie ETF-Sparpläne oder Finanzierungsmöglichkeiten für den Erwerb von Eigentum relevant. Finanzwissen ist allgemein wenig verbreitet, allerdings betrifft diese Wissenslücke vor allem Frauen, da sie oft länger leben als Männer und daher einen anderen Sparbedarf haben; viele von ihnen werden einen Teil ihres Ruhestands als Witwe verbringen (Bucher-Koenen et al. 2017: 256). Es geht also darum, Frauen und Männern einen gleichberechtigten und damit besseren Zugang zu Finanzmärkten und Anlagemöglichkeiten zu ermöglichen. Durch besseres Finanzwissen und bessere -kompetenzen (z.B. bildungspolitisch) können die Zugangsmöglichkeiten verbessert werden. Das kann dazu beitragen, finanzielle Ungleichheiten zu verringern und insbesondere Frauen zu ermächtigen, ihre finanzielle Zukunft aktiv und weitestgehend ökonomisch unabhängig zu gestalten (Cabeza-García et al. 2019).

Angesichts des ungleichen Zugangs zu Finanzwissen und -kompetenzen empfiehlt sich aus Perspektive feministischer Geldpolitik, das Wissen darüber, wie sich Frauen zu Finanzfragen informieren, für gezielte Maßnahmen einzusetzen: Frauen nutzen eher informelle Quellen, Familien- und Freund*innenkreis für Finanzfragen (Bucher-Koenen et al. 2017: 277). Die Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen ist für Frauen oft besonders herausfordernd, da neben Zeitmangel auch finanzielle Einschränkungen eine Rolle spielen, daher gilt es, Frauen mit zielgruppenspezifischen, bedarfsgerechten finanzpolitischen Bildungsangeboten zu adressieren.

Eine feministische Geldpolitik…

  • implementiert geschlechtergerechte Maßnahmen: Die Zentralbanken sowie Finanzpolitiker*innen sollten geldpolitische Maßnahmen gezielt so gestalten, dass sie aktiv zur Förderung der Geschlechtergleichstellung beitragen.
  • stellt öffentliches Geld für infrastrukturelle Projekte bereit: Konkret könnte dies bedeuten, dass Zentralbanken und politische Entscheidungsträger*innen gezielt Maßnahmen ergreifen, um Geld bereitzustellen, das direkt in Infrastrukturprojekte fließt. Diese Projekte könnten unter anderem öffentliche Verkehrsmittel, Kinderbetreuungseinrichtungen oder Gesundheitsdienste umfassen, die besonders Frauen zugutekommen, da sie oft stärker von solchen Infrastrukturen abhängig sind. Ziel einer solchen Politik ist es, wirtschaftliche und soziale Ungleichheiten abzubauen und die Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt und am öffentlichen Leben zu verbessern.
  • analysiert geschlechtsspezifische Inflationswirkungen: Es ist entscheidend, die geschlechtsbezogenen Auswirkungen von Inflationsentwicklungen systematisch und intersektional zu erfassen – hier sind Politik und Wissenschaft gefragt.
  • schließt den Gender Data Gap: Durch eine detailliertere Datenerhebung durch staatliche Akteure wie z.B. das statistische Bundesamt oder wissenschaftliche Forschungsprojekte können geschlechtsbezogene Aspekte in die geldpolitische Entscheidungsfindung besser integriert werden.
  • fördert Finanzwissen und -kompetenz: Maßnahmen zur Verbreitung und Verbesserung von Finanzwissen und -kompetenz werden finanziell gefördert. Dafür werden gezielt auch alternative Bildungskanäle wie soziale Netzwerke genutzt.

[1] Zum Hintergrund ist allerdings wichtig zu wissen, dass sich Gewerkschaftsvertreter*innen in Tarifverhandlungen ausdrücklich dafür eingesetzt haben, die Inflationsausgleichsprämie allen Beschäftigten in voller Höhe zukommen zu lassen, sich aber mit dieser Forderung nicht durchsetzen konnten.

 

 

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