Die Bundesregierung will Anfang Juni ein Konjunkturpaket mit weiteren milliardenschweren Investitionen beschließen, um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise abzumildern. Dabei dürfen Fehler der Vergangenheit nicht wiederholt werden, fordert der Deutsche Frauenrat: Sowohl nach der Wende 1989 als auch in der Finanzkrise 2008 konzentrierten sich Konjunkturpakete auf den Erhalt von Beschäftigung in männerdominierten Branchen. Die Beschäftigungsverhältnisse und -formen von Frauen wurden kaum berücksichtigt. Die Corona-Krise kann nur auf der Grundlage geschlechtergerechter finanzpolitischer Entscheidungen überwunden werden. Alle Maßnahmen müssen die Gleichstellung von Frauen und Männern voranbringen.
Frauen und Männer arbeiten in unterschiedlichen Wirtschaftszweigen und Hierarchieebenen. Einige der frauendominierten Branchen, wie der Einzelhandel, das Gastgewerbe oder die Tourismusbranche, sind von der Krise besonders stark betroffen. Sie sind genauso relevant wie z.B. die Automobilindustrie und müssen gleichermaßen unterstützt werden. Frauen arbeiten häufig in (schlechter bezahlten) Teilzeit- und Minijobs und seltener in besser bezahlten Führungsfunktionen als Männer, auch weil sie die Hauptlast der familiären Sorgearbeit tragen. Dies wird durch den immer noch eingeschränkten Regelbetrieb von Kitas und Schulen verschärft. Dadurch droht Frauen häufiger ein Jobverlust und sie haben es schwerer beim Wiedereinstieg in den Beruf. Wenn Konjunkturmaßnahmen die bestehenden Unterschiede zwischen Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt nicht berücksichtigen, werden diese künftig noch verstärkt.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier stellte anlässlich des internationalen Frauentages 2019 fest: „Ohne die Leistung der Frauen wäre der Wirtschaftsstandort Deutschland nicht Weltspitze.“ Bedauerlich ist, dass sich diese Erkenntnis nicht im Bericht „Wirtschaftspolitische Aspekte der Corona-Krise“ des wissenschaftlichen Beirates des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie niedergeschlagen hat und dessen Empfehlungen zur Krisenbewältigung ganz ohne die Erwähnung von Frauen in der Krise auskommt. Dabei belegen Studien: Je mehr Frauen einer bezahlten Arbeit nachgehen, desto besser geht es der Wirtschaft eines Landes. Und: Mit einer höheren Gesamtbeschäftigung steigt auch die Innovationskraft eines Landes. Würden in der EU alle Frauen im erwerbsfähigen Alter einer bezahlten Beschäftigung nachgehen, so stiege das Bruttoinlandsprodukt allein in Westeuropa um 2,1 Billionen Euro. Eine Konjunkturpolitik, die die bestehenden Unterschiede zwischen Frauen und Männern verfestigt oder verstärkt, ist deshalb nicht nur undemokratisch, sondern auch wirtschaftlich nicht sinnvoll.
Investitionsmaßnahmen des Staates müssen dazu beitragen, dass die Gleichstellung von Frauen und Männern im Erwerbsleben vorankommt. Eine Konjunkturpolitik, die frauendominierte Branchen während und nach der Krise staatlich unterstützt, Beschäftigungsbedingungen in „frauentypischen“ Arbeitsverhältnissen verbessert, die Beschäftigungsfähigkeit von Frauen durch Qualifizierung sichert und mehr Frauen den Einstieg in männerdominierte Bereiche erleichtert, lohnt sich gesamtwirtschaftlich. Nicht zuletzt stärkt ein gesichertes Erwerbseinkommen die Kaufkraft und damit den gesamten Wirtschaftskreislauf. Geschlechtergerechtigkeit ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche und nachhaltige Wirtschaftspolitik.
Gleichstellungspolitik muss zum integralen Bestandteil von Wirtschafts- und Strukturpolitik werden. Dazu gehört eine Verteilung öffentlicher Finanzmittel, die die Gleichstellung von Frauen und Männern fördert. Die Förderung der Gleichberechtigung steht in unserem Grundgesetz und Gleichstellungspolitik ist eine ökonomische Grundvoraussetzung für Nachhaltige Entwicklung, so die Vereinten Nationen.
Die Verteilung öffentlicher Einnahmen und Ausgaben muss systematisch unter dem Aspekt der Herstellung der Geschlechtergerechtigkeit analysiert, bewertet und geplant werden. In seinem Gutachten „Geschlechtergerechter Bundeshaushalt am Beispiel der Arbeitsmarkt- und Sportförderung“ zeigt der Deutsche Frauenrat, dass der Geschlechtergerechte Bundeshaushalt ein praktikables und wirksames Instrument für eine transparente und gerechte Verwendung von Bundesmitteln ist. Er beschreibt darüber hinaus erste konkrete Schritte zur Umsetzung eines Geschlechtergerechten Haushalts.
Eine zentrale Maßnahme auf dem Weg zu einer geschlechtergerechten Konjunktur- und Investitionspolitik ist die öffentliche Förderung von haushaltsnahen Dienstleistungen. Union und SPD haben bereits in ihrem Koalitionsvertrag in Aussicht gestellt, Zuschüsse für die Inanspruchnahme solcher Dienstleistungen zu gewähren. Haushaltsnahe Dienstleistungen werden zum ganz großen Teil von Frauen erbracht – 90 Prozent weder sozialversichert noch als Minijob. Eine öffentliche Förderung legal und sozial abgesichert erbrachter Dienstleistungen würde eine frauendominierte Branche stärken, Frauen sozial absichern, die Einnahmen in den Sozialversicherungen verbessern und mittelbar die Erwerbstätigkeit von Frauen fördern. Somit entspricht diese Maßnahme den klassischen Kriterien einer wirksamen Konjunkturpolitik.
Werden die Zuschüsse nach sozialen Kriterien ausgestaltet, können auch Haushalte mit geringen Einkommen erreicht werden, darunter viele alleinerziehende Frauen. Die Bundesregierung würde mit der Förderung haushaltsnaher Dienstleistungen die Bedeutung von Reproduktionsarbeit für die Sicherung von Arbeitskraft und gesellschaftlichem Wohlstand anerkennen und systemrelevante, weiblich konnotierte Tätigkeiten aufwerten. Gleichzeitig wären haushaltsnahe Dienstleistungen ein Signal gegen die sich anbahnende Retraditionalisierung in Paarbeziehungen. Diesem Rückfall in längst überwunden geglaubte Rollenbilder haben auch unlängst Bundeskanzlerin Angela Merkel und Familienministerin Franziska Giffey den Kampf angesagt.
Corona-Serie Teil 1: Für eine geschlechtergerechte Krisenpolitik