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Frauenpolitischer Jahresrückblick

Aktuelles | 16. Dezember 2020

4 Fragen an Dr. Anja Nordmann

Zu Beginn 2020 haben Sie an dieser Stelle hoffnungsvoll auf das „Jahr der Gleichstellung“ geblickt. Wie bewerten Sie heute aus frauen- und gleichstellungspolitischer Sicht das Jahr 2020?

2020 war ein sehr besonderes Jahr. Spätestens ab März hatte uns die Coronakrise fest im Griff. Eine völlig unerwartete Krise, bei der sich schnell zeigte: Sie ist eine Krise der Frauen.

Bei der Vereinbarkeit hat sich das im Frühling besonders manifestiert. Mit den Schließungen von Kitas und Schulen oder auch Tagespflegeeinrichtungen wurde die gesamtgesellschaftliche Verantwortung für die Vereinbarkeit von Beruf und Kinderbetreuung oder Pflege leichtfertig zurück ins Private katapultiert – das hätte ich in dieser Form nicht mehr für möglich gehalten.

Sorgearbeit wie Kindererziehung, Pflege von Angehörigen und Hausarbeit lasten ohnehin zu einem größeren Teil auf den Schultern von Frauen. Die Krise hat dieses Problem verstärkt und zu enormen Belastungssituationen für Frauen geführt. Wir alle kennen dafür etliche Beispiele aus unserem privaten Umfeld.

Deshalb war es wichtig, dass der DF und andere Frauenverbände hier von Anfang an den Finger in die Wunde gelegt und die Politik zum Handeln aufgefordert haben. Dass Alleinerziehende steuerlich entlastet werden und in der aktuellen zweiten Welle die Schließung von Bildungs- und Betreuungseinrichtungen das letzte Mittel sein sollen, sind echte Erfolge!

Langfristig werden wir weiter darauf drängen, dass Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern umverteilt wird – wie wir es mit unserem Fachausschuss zu dem Thema ja auch schon länger tun.

 

Ein anderes Schwerpunktthema im DF ist aktuell der geschlechtergerechte Bundeshaushalt. Gab es dazu neue Entwicklungen im letzten Jahr?

Um die Auswirkungen der Coronakrise abzufedern, haben die Bundesregierung und die EU milliardenschwere Hilfspakete aufgelegt. Wie schon bei vergangenen Krisen, müssen wir leider erneut feststellen: Die Verteilung der Finanzmittel aus den Konjunkturprogrammen wurde nicht systematisch auf Geschlechtergerechtigkeit hin analysiert, bewertet und geplant. Der Löwenanteil des Geldes, für das die ganze Gesellschaft bürgt und zukünftig empfindliche Einsparungen hinnehmen muss, geht in Branchen, in denen weit überwiegend Männer beschäftigt sind, z.B. der Baubranche.

Diese strukturelle Veränderung im Bund könnte also kaum aktueller sein und unsere diesjährige Fachveranstaltung zu geschlechtergerechter Haushaltspolitik kam Ende November genau zum richtigen Zeitpunkt. Wir haben dort auch dem Bundesfinanzminister noch einmal verdeutlicht, dass die Umsetzung eines geschlechtergerechten Bundeshaushalts möglich ist. Ein Gutachten, das wir in Auftrag gegeben haben, zeigt hierfür ganz konkrete erste Schritte. Die sind machbar und nicht zu kompliziert, wie gerne eingewendet wird. Jetzt ist es an der Bundesregierung loszulegen.

 

Eine weitere Entwicklung, die uns durch dieses Jahr begleitete, ist leider die sehr wahrscheinlich zunehmende Gewalt gegen Frauen. Wie schätzen Sie die Situation ein und was ist zu tun?

Tatsächlich beobachte ich die Zunahme der häuslichen Gewalt mit großer Sorge. Die aktuelle Kriminalstatistik zeigt, dass die Zahlen im Jahr 2019 wieder angestiegen sind. In Zeiten von Kontaktbeschränkungen ist die Befürchtung groß, dass sie sogar noch weiter gestiegen sind. Erste Auswertungen der Anrufe beim Hilfetelefon weisen bereits darauf hin.

Gut ist, dass die öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema enorm zugenommen hat. Dafür hat auch die Kampagne „Stärker als Gewalt“ vom Bundesfrauenministerium gesorgt. In zahlreichen Supermärkten sehen Betroffene Plakate mit Informationen darüber, wo sie Hilfe bekommen.

Die aktuelle öffentliche Sensibilität muss jetzt dafür genutzt werden, dass auch politisch mehr passiert. Seit knapp drei Jahren ist in Deutschland die Istanbul-Konvention, die umfassende Gewaltschutz-Konvention des Europarats, in Kraft. Doch immer noch vermissen wir ein politisches Gesamtkonzept und ausreichende Mittel, um wirklich alle Frauen und Mädchen dauerhaft vor Gewalt zu schützen. Die ganze Bundesregierung muss den Gewaltschutz zu ihrer Priorität erklären.

 

Bundesfrauenministerin Giffey hat Anfang 2020 das „Jahr der Gleichstellung“ ausgerufen. Wenn wir jetzt auf die Ankündigungen zurückblicken, wurden die Versprechen gehalten?

Mit der Gleichstellungsstrategie und der Aussicht auf die Gründung einer Bundesstiftung für Gleichstellung wurden zwei sehr zentrale Vorhaben umgesetzt bzw. angefangen. Dass die Bundesregierung sich zu einer Gleichstellungstrategie mit gemeinsamen Zielen bekennt, ist ein besonderes Signal. Ob die Erwartungen an die gewünschte Wirkung so bald erfüllt werden, ist jedoch zu bezweifeln. Viele Schritte sind noch ungeklärt und es fehlen Sanktionen, wenn ein Ressort sich nicht an der Umsetzung beteiligt. In die Bundesstiftung setzen wir große Hoffnungen, insbesondere in ein einflussreiches Monitoring der Gleichstellungspolitik. Jetzt kommt es auf die Ausgestaltung an. Wir werden das sehr genau verfolgen.

Einen Erfolg haben Bundesfrauenministerin Giffey und Bundesjustizministerin Lambrecht beim Führungspositionengesetz erzielt: Die verbindliche Frauenquote für DAX-Vorstände war lange überfällig und soll nun endlich Realität werden. Auch hier hat der gemeinsame Druck von Frauenverbänden über einen langen Zeitraum Wirkung gezeigt und die letzten Skeptiker dann irgendwann überzeugt. Viel Luft nach oben besteht aber weiterhin, denn eine Mindestbeteiligung von Frauen in Vorständen, die lediglich in weiteren 30 Unternehmen Wirkung hat, bringt noch keine echte Gleichstellung.

Sehr erfreulich ist, dass Ministerin Franziska Giffey neulich unerwartet das Ehegattensplitting wieder auf die Agenda gesetzt hat. Der DF setzt sich schon ewig für eine Abschaffung oder wenigstens eine Reform mit Beibehaltung übertragbarer Grundfreibeträge ein. Ich hoffe, dass wir von diesem Schwung etwas ins neue Jahr mitnehmen können. Wir werden dafür sorgen, dass auch im Wahljahr 2021 kein Weg an Gleichstellungspolitik und am DF vorbeigeht und unsere Anliegen ganz oben auf der politischen Agenda mitspielen. Frauen sollen in 2021 gewinnen.

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