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Mit einer feministischen Aussenpolitik und internationaler Zusammenarbeit weltweit gegen Corona

Thema "Corona" | 9. Juni 2020

Wir stellen fest:

Die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie treffen weltweit Frauen am stärksten. Als Mitglied der G7 und G20 sowie einer der mächtigsten Staaten der EU trägt Deutschland in der Krise auch über seine Grenzen hinaus Verantwortung. Die Bedrohung der internationalen Finanzmärkte und somit der Stabilität ganzer Staaten, zieht aktuell einen Marathon internationaler Krisenstäbe nach sich. Die Rolle, die Deutschland in diesen Foren genießt, muss dazu genutzt werden, um geschlechtergerechte, nachhaltige Hilfspakete zu schnüren und das Fundament für ein inklusives internationales Miteinander zu legen. Der Schlüssel dazu liegt in einer feministischen Außenpolitik und internationalen Zusammenarbeit, die auf gleichen Rechten, gleicher Repräsentation, gleichem Zugang zu Ressourcen sowie faktenbasierten Handlungsempfehlungen aufbaut.

Diskriminierung schwächt die globale Wirtschaft

Die weltweite Diskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt verringert das globale Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 7,5%. Das entsprach im Jahr 2017 rund sechs Billiarden USD, wie die OECD feststellte. Erste aktuelle Zahlen zeigen, dass die Corona-Krise Frauen noch weiter aus dem Arbeitsmarkt drängt: Allein im März verloren 203.000 Frauen EU-weit ihren Arbeitsplatz, fünfmal mehr als Männer. Dazu sind aktuell weltweit 89% aller schulischen Einrichtungen nicht voll betriebsfähig. Das bedeutet, dass gerade die 111 Millionen Mädchen in den ärmsten Ländern, in denen gleiche Zugänge ohnehin noch nicht erreicht sind, der Gefahr ausgesetzt sind, auch nach der Krise nicht wieder ins Schulsystem zurückkehren zu können und nie auf dem Arbeitsmarkt anzukommen.

Frauen fehlen in internationalen Entscheidungsgremien

Auf dem Gruppenbild des letzten Treffens der G20-Finanzmister*innen und Chef*innen der Zentralbanken waren mehr pinke Schlipse zu sehen als Frauen. Kommen die Staats- und Regierungschefs des gleichen Forums zusammen, dann ist Angela Merkel aktuell die einzige Frau unter ihnen. Durch Reise- und Kontaktbeschränkungen schrumpft auch der Raum für zivilgesellschaftliche Vertreter*innen bei diesen Treffen. Frauen haben bei den Lösungen für die Krisenbewältigung kaum Mitsprache. Es ist daher kein Wunder, dass in der Erklärung der G7-Staats- und Regierungschefs im März mit keinem Wort auf die geschlechtsspezifischen Auswirkungen der Krise eingegangen wurde.

Geschlechtergerechte Investitionen notwendig

Die Pandemie droht eine globale Rezession zu erzeugen. Um dem frühzeitig entgegenzuwirken, schlug EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Ende Mai einen gestärkten EU-Haushalt vor. Er umfasst neben dem Finanzinstrument Next Generation Europe eine Aufstockung des neuen Mehrjährigen Finanzrahmens (2021-2027) sowie Sicherheitsnetze für Arbeitnehmer*innen, Unternehmen und Staaten und summiert sich auf 1,29 Billionen EUR für außergewöhnliche Maßnahmen. Explizite geschlechteregerechte Programme: Fehlanzeige. Zwar sieht die neue EU-Gleichstellungsstrategie vor, dass „die Geschlechterperspektive in alle wichtigen Initiativen der Kommission“ einbezogen werden soll – die dafür neu benannte Gleichstellungskommissarin Dalli fehlt jedoch im EU-Krisenkabinett von Ursula von der Leyen.

Faktenbasierte Handlungsempfehlungen benötigen aufgeschlüsselte Daten

Wir könnten bereits mehr über den Verlauf einer Pandemie und ihre Auswirkungen auf das Leben von Frauen und Mädchen wissen, wenn die Studien zu den vorherigen Krisen die Geschlechterunterschiede und andere intersektionale Faktoren wie Herkunft, Behinderung, Religion oder finanzielle Situation ernst genommen hätten: So wurden z.B. nur bei 1% der Studien zu Auswirkungen der Ebola-Epidemie geschlechtsspezifische Daten erhoben. Dabei wurde unter anderem deutlich, dass in den betroffenen Gebieten die Geburtensterblichkeit um 75% anstieg, da medizinische Ressourcen vor allem in die Behandlung der Ebola-Patient*innen fließen mussten.

Was jetzt getan werden muss:

Geschlechtergerechtigkeit als Leitlinie der internationalen Zusammenarbeit

Die am 1. Juli 2020 beginnende EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands wird sich im besonderen Maße für die Überwindung der Krise und den Zusammenhalt in Europa und auf internationaler Ebene einsetzen müssen. Dabei muss Deutschland auch sicherstellen, dass die im März vorgestellte „Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter 2020-2025“ unverzüglich umgesetzt und nicht krisenbedingt verschoben oder gar aufgehoben wird. Das gilt auch für Gesetzgebungsverfahren zur EU-Entgelttransparenzrichtlinie in 2020 und die Ratifizierung der ILO-Konvention gegen geschlechtsspezifische Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz durch die EU-Staaten und weltweit. Denn Geschlechtergerechtigkeit ist wesentliche Voraussetzung für eine nachhaltige Krisenbekämpfung. Dazu gehört auch der neue Gender Action Plan III, der weltweit die reproduktive Gesundheit von Mädchen und Frauen schützen und Zugang zu Bildung unterstützen muss.

Mehr Frauen in internationale Gremien

Wer Deutschland international vertritt, muss dazu mandatiert worden sein. Auswahlprogramme für Diplomat*innen sowie Besetzung von Gremien müssen dafür Quoten einsetzen. Aber auch EU-weit müssen mehr Frauen in Führungspositionen gelangen –  im öffentlichen wie privaten Sektor. Dafür müssen die schon seit Jahren verhandelte EU-Führungspositionen Richtlinie endlich verabschiedet, sowie Maßnahmen ergriffen werden, die eine paritätische Vertretung von Frauen und Männern im öffentlichen Sektor inklusive der Parlamente sicherstellt. Der organisierten weiblichen Zivilgesellschaft kommt eine besonders wichtige Rolle zu. Frauenorganisationen und internationale Netzwerke wie der European Women‘s Lobby auf EU-Ebene, der Women20 bei den G20-Verhandlungen und der Women Mayor Group auf UN-Ebene muss ein wirksamer Zugang zu den Verhandlungen ermöglicht werden. Darüber hinaus ist die nachhaltige und ausreichende Finanzierung von Frauenorganisationen auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene jetzt besonders wichtig.

Gender Budgeting für internationale Finanzinstrumente

Die von der G20 auf dem Corona-Sondergipfel im März vereinbarte Investition von fünf Billionen USD in die globale Wirtschaft, mit denen ein weltweiter Wirtschaftskollaps abgewendet werden soll, müssen geschlechtergerecht eingesetzt werden. Dazu gehören der Ausbau der Pflegeinfrastruktur, der Aufbau neuer (digitaler) Finanzdienstleistungen, um mehr Frauen zu erreichen, Kreditprogramme für Frauen und für frauengeführte Unternehmen. Alle internationalen und nationalen Maßnahmen müssen die Gleichstellung von Frauen und Männern voranbringen.  Dies muss Deutschland im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft auf die Tagesordnungen der Verhandlungen der Konjunkturprogramme und des Mehrjährigen Finanzrahmens setzen. Dazu gehört auch das Thema geschlechtergerechter Haushalt (Gender Budgeting). Aber auch die Maßnahmen für den europäischen Green Deal, dem nachhaltigen Investitionsprogramm, das Europa als ersten Kontinent bis 2050 klimaneutral werden lassen soll, müssen dringend auf ihre Auswirkungen auf die Geschlechter geprüft und angepasst werden.

Monitoring und Forschung als Basis für nachhaltige Veränderungen

Die Frauendialoggruppen der G7/20 (W7/20) fordern seit Jahren ein verbindliches Monitoring der geschlechtsspezifischen Ziele dieser Foren. Gerade jetzt sind diese zwingend notwendig. Die W20-Germany-Studie Umsetzung der geschlechterpolitischen Ziele der G7 und G20 in Deutschland unterstreicht, dass beispielweise das große Ziel der G20, nämlich die Verringerung der geschlechtsspezifischen Lücke auf dem Arbeitsmarkt bis 2025 um 25% zu verringern, noch lange nicht erreicht ist. Auf europäischer Ebene muss durch das Forschungsrahmenprogramm Horizon Europe‚ das zur Krisenbekämpfung aufgestockt werden soll, Mittel für geschlechtsspezifische und intersektionale Forschung bereit gestellt werden.

Wir fordern:

  • Eine feministische Außenpolitik und internationale Zusammenarbeit
  • Stärkung der zivilgesellschaftlichen Konsultationsprozesse in den Foren der G7/20, UN und EU und robuste Finanzierung für Frauenorganisationen und Netzwerke
  • Planmäßige Umsetzung der EU-Gleichstellungsstrategie und Ratifizierung der ILO-Konvention gegen geschlechtsspezifische Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz
  • Gender Budgeting und Gender Impact Assessment für die europäische und globale Gegenfinanzierung der Corona-Krise
  • Forschung sowie Finanzierung der Erhebung geschlechtsspezifischer, intersektionaler Daten zum Verlauf der Pandemie
Geschlechtergerecht aus der Krise

Teil 1: Für eine geschlechtergerechte Krisenpolitik

Teil 2: Finanzen fair verteilen – Für eine gerechte Konjunktur

Teil 3: Systemrelevant und (un)verzichtbar: Trägerinnen und Verliererinnen eines Systems

 

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