Fair geht anders

Aktuelles | 11. Dezember 2020

Corona-Konjunkturpolitik gleichstellungspolitisch betrachtet

Heute wird der Bundeshaushalt für 2021 verabschiedet. Geschlechtergerechtigkeit war und ist bei den Planungen öffentlicher Ausgaben kein Kriterium. Auch Konjunkturprogramme plant und bewertet die Bundesregierung nicht unter dem Aspekt, dass Frauen und Männer gleichermaßen von ihnen profitieren. Dabei wissen wir, dass staatliche Mittel unterschiedlich bei Frauen und Männern ankommen.

Auf Corona folgen geschlechterblinde Hilfsprogramme

Die Coronakrise führt weltweit zu einem signifikanten wirtschaftlichen Einbruch – so auch in Deutschland. Die Zahl der Bezieher*innen von Kurzarbeiter- und Arbeitslosengeld steigt an; zahlreiche Selbständige und Freiberufler*innen geraten in Existenznot. Um diese sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Krise abzumildern, werden sowohl auf EU-Ebene als auch in Deutschland weitreichende Hilfsmaßnahmen in Milliardenhöhe auf den Weg gebracht. Darunter Steuersenkungen und Modifizierungen im Steuerrecht, eine Deckelung der Lohnnebenkosten, ein umfassender Katalog an Investitionsmaßnahmen und verschiedenste Hilfsprogramme für unterschiedliche Unternehmen und Branchen sowie internationale Hilfen. Die Hilfsmaßnahmen richten sich an Branchen und Unternehmen, Konsument*innen, Familien oder Auszubildende in unterschiedlicher Gewichtung und wirken sich somit auch unterschiedlich unterstützend aus.

Analysen zeigen: Fair geht anders

Eine aktuelle Studie von Elisabeth Klatzer und Azzurra Rinaldi zur Wirkung des europäischen Konjunkturprogramms zeigt auf, dass Investitionen in den Care-Bereich, d.h. Kinderbetreuung, Bildung, Gesundheit und Pflege, einen besonders hohen Beschäftigungseffekt für Frauen erbringen würden. Aus vergangenen Krisen wissen wir jedoch, dass das Kriterium der Geschlechtergerechtigkeit konjunkturpolitisch nur eine untergeordnete Rolle spielt.

Bei den aktuellen Konjunkturpaketen zeigen erste Analysen, dass sie an vielen Stellen geschlechterblind fördern: In allen EU-Ländern unterstützen die Regierungen stärker männerdominierte Bereiche wie z.B. Landwirtschaft, Digital-, Energie-, Bau- und Verkehrswirtschaft und eben nicht Branchen, wie Bildung, Gesundheit, Dienstleistung, Kunst, Kultur – die überwiegend weiblich dominiert und von der Krise besonders betroffen sind.

Maßnahmen nutzen Frauen in der Krise wenig

Ein Blick auf das Konjunkturpaket der Bundesregierung vom Sommer 2020 ergibt ein ähnliches Bild. Förderungen, die zunächst so klingen, als kämen sie Frauen zugute, müssen eingehender betrachtet werden: Beim „Zukunftsprogramm Krankenhäuser“ ist z.B. fraglich, inwieweit die Investitionen dem weitgehend weiblichen Pflegepersonal zugutekommen, wenn mit den Geldern vor allem die digitale Infrastruktur in Kliniken verbessert werden soll. Von Unterstützung weiblich geprägter Branchen kann hier keine Rede sein. Eine „Innovationsprämie“, die den Kauf von klima- und umweltfreundlicheren Elektrofahrzeugen ankurbeln soll, nutzt Frauen in der Krise wenig: Aufgrund der hohen Preise für Elektroautos und der in der Regel geringeren finanziellen Ressourcen von Frauen werden sie beim Zugang zu dieser Prämie benachteiligt. Vom Überbrückungsgeld für kleine und mittlere Unternehmen kommt wegen hoher bürokratischer Hürden oft wenig an. Hier sind Frauen aber deutlich häufiger in der Unternehmensleitung und in der Belegschaft vertreten als in Großunternehmen. Mit diesen Maßnahmen widerspricht die Konjunkturpolitik der Bundesregierung der Selbstverpflichtung der Bundesministerien, Maßnahmen geschlechtsneutral auszurichten.

Konjunkturpolitik muss auch Gleichstellungspolitik sein

Bei konjunkturpolitischen Entscheidungen ist es zentral, dass die Politik die Folgen der Corona-Krise auf die Lebenswirklichkeiten von Frauen im Blick hat und mit gezielten Maßnahmen ihre gleiche Teilhabe in allen gesellschaftlichen Bereichen fördert. Obwohl einige Maßnahmen der Bundesregierung, wie die Anhebung des Entlastungsfreibetrags für Alleinerziehende (immerhin 90 Prozent Frauen), Gelder für den Ausbau von Kitas und Ganztagsschulen oder der Kinderbonus grundsätzlich richtig sind, machen sie nur einen kleinen Teil der Konjunkturpakete aus. Solche familienpolitischen Maßnahmen alleine ersetzen aber keine wirksame Gleichstellungspolitik. Gute Konjunkturpolitik muss vielmehr Gleichstellungspolitik als integralen Bestandteil von Wirtschafts- und Strukturpolitik verstehen. Dann würde sie die Arbeitsplätze von Frauen erhalten, ihre Kaufkraft stärken, die Vereinbarkeit zwischen Familie und Beruf und die eigenständige Existenzsicherung von Frauen sicherstellen.

Damit die staatlichen Förderungen und Investitionen die Gleichstellung von Frauen und Männern voranbringen, fordert der Deutsche Frauenrat (DF) Finanzmittel in der Krise geschlechtergerecht zu verteilen und auf geschlechtsspezifische Auswirkungen zu überprüfen (Gleichstellungsorientierte Gesetzesfolgenabschätzung). Jedes Vorhaben muss systematisch unter dem Aspekt der Herstellung der Geschlechtergerechtigkeit analysiert, bewertet und geplant werden sowie geeignet sein, die Gleichstellung von Frauen zu verbessern. Nur so wird dafür gesorgt, dass Frauen und Männer gleichermaßen von Bundesmitteln profitieren und unsere Gesellschaft dadurch insgesamt gerechter wird.

 

Finanzen fair verteilen – Für eine geschlechtergerechte Konjunktur

Rückblick auf unsere Fachveranstaltung Wir müssen reden – über Geld.


Literatur:

Elisabeth Klatzer und Azzurra Rinaldi (2020). „#nextGenerationEU“ Leaves Women Behind. Gender Impact Assessment of the European Commission Probosals for the EU Recovery Plan. June 2020.

Regina Frey und Ulrike Röhr (2020). Das Konjunkturpaket zur Überwindung der Corona-Krise aus Geschlechter- und Klimaperspektive. September 2020.

Mara Kuhl (2012). Krisenpolitik als Zukunftsaufgabe – Vorschläge zur gleichstellungspolitischen Qualität von Konjunkturpolitik. Im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung. Berlin, November 2012.

 

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