Frauen sind in Deutschland vor ihren (Ex-)Partnern nicht sicher. Körperliche und/oder sexualisierte Gewalt betreffen jede vierte Frau. Obwohl die statistisch belegte Gewalt Jahr um Jahr ansteigt, ist die Finanzierung der Frauenunterstützungsstruktur unzureichend, fehlen tausende Plätze in Deutschlands Frauenhäusern, sind Beratungsstellen chronisch überlastet und die Wartezeiten für einen Beratungstermin nach einer Vergewaltigung unerträglich lang. Die Istanbul-Konvention und die EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt verpflichten, den Schutz vor und die Prävention von Gewalt unmittelbar anzugehen.
Zur Bundestagswahl 2025 fordert der Deutsche Frauenrat (DF):
1. Istanbul Konvention und EU-Gewaltschutzrichtlinie konsequent umsetzen
Der Europarat hat Deutschland ein miserables Zeugnis in Sachen Gewaltschutz ausgestellt. Die dringenden Empfehlungen des Ausschusses der Vertragsstaaten zur Umsetzung der Istanbul-Konvention müssen bis Ende 2025 umgesetzt werden und deshalb fortlaufend für alle Ressorts handlungsleitend sein und mit ausreichend Ressourcen hinterlegt werden. Bis 2027 ist Deutschland zudem zur Umsetzung der EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt verpflichtet. Dazu gehören u.a. neue Mindeststandards für den Schutz, die Unterstützung und den Zugang zur Justiz für Gewaltbetroffene sowie die verschärfte Strafverfolgung von Cybergewalt. Auch die Weiterbildung zu geschlechtsspezifischer Gewalt für alle relevanten Berufsgruppen, insbesondere Justiz und Polizei, ist vorgesehen. Der DF fordert ferner, bei der ersten Review der Richtlinie auf EU-Ebene den Straftatbestand der Vergewaltigung nachträglich in die Liste der Straftaten einzubeziehen.
2. Frauenleben schützen und Zugang, Finanzierung und Ausbau von Schutzunterkünften und Beratungsstellen gesetzlich sicherstellen
Der DF fordert noch im Jahr 2025 eine gesetzliche Regelung, die den Zugang zu Schutz und Unterstützung für alle Betroffenen von geschlechtsspezifischer Gewalt ermöglicht, die einzelfallunabhängige Finanzierung von Frauenhäusern und Beratungsstellen unter Bundesbeteiligung sichert und den bedarfsgerechten Ausbau – auch barrierearm – mit Ressourcen ausstattet.
3. Lückenloser Gewaltschutz für Migrantinnen und geflüchtete Frauen
Damit alle Frauen unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus vor Gewalt geschützt werden, fordert der DF zudem die Streichung der Wohnsitzauflage in §12a AufenthG und die Reform des §31 AufenthG. Dazu gehören: ein eigenständiges Aufenthaltsrecht unabhängig vom Bestand oder der Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft, die Erteilung der ersten eigenständigen Aufenthaltserlaubnis für zwei Jahre und die Streichung oder zumindest Herabsetzung der Ehebestandszeit auf ein Jahr.
4. Sicherheit für Frauen mit Behinderungen in allen Lebenslagen
Da Frauen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen besonders häufig Gewalt erleben, sind die Gewaltschutzvorgaben aus der UN-Behindertenrechtskonvention und der Istanbul-Konvention prioritär zu behandeln. Dazu müssen u.a. das Gewaltschutzgesetz reformiert, der barrierefreie Ausbau der Unterstützungsstruktur vorangetrieben und die Erarbeitung von Gewaltschutzkonzepten verpflichtend eingeführt werden.
5. Gewaltschutz für Mütter und ihre Kinder sicherstellen
Regelmäßig wird der Schutz von gewaltbetroffenen Elternteilen, in der Regel Frauen, durch Entscheidungen zum Umgangs- und Sorgerecht gefährdet. Der DF fordert deshalb eine gewaltschutzkonforme Familienrechtsreform, die verschiedene Anforderungen unbedingt erfüllen muss: Familiengerichte müssen Anhaltspunkte für häusliche Gewalt umfassend und systematisch ermitteln und eine Risikoanalyse vornehmen. Die Regelung der Gerichtszuständigkeit am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Kindes muss in Fällen der Flucht vor Partnerschaftsgewalt ausgesetzt werden. Das gemeinsame Sorgerecht darf bei Partnerschaftsgewalt in der Regel nicht in Betracht kommen. Umgang mit dem gewaltausübenden Elternteil dient in der Regel nicht dem Wohl des Kindes. Das Wechselmodell muss in Gewaltfällen ausgeschlossen werden. Voraussetzung für (begleiteten) Umgang muss immer eine Gewaltverzichtserklärung, die Verantwortungsübernahme für die Gewalt sowie die Teilnahme an Täterprogrammen seitens des gewaltausübenden Elternteils sein.
6. Wirksamer Rechtsschutz gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz
Der Schutz vor Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt ist in Deutschland weiterhin unzureichend. Auf betrieblicher und behördlicher Ebene sollten alle gesetzlichen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um Menschen vor sexueller Belästigung zu schützen und abwertendes Verhalten präventiv zu verhindern. Dazu ist Deutschland nicht zuletzt durch Ratifizierung der ILO-Konvention 190 völkerrechtlich verpflichtet. Der DF fordert, den Schutz vor Gewalt und sexueller Belästigung in den Arbeits- und Gesundheitsschutz zu integrieren, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz um eine Definition von Gewalt und sexueller Belästigung zu ergänzen sowie Verbots- und Sanktionsnormen zu verankern.
7. Frauen und Mädchen effizient vor Menschenhandel schützen
Der DF fordert, in Einklang mit der Europaratskonvention und der EU-Richtlinie, einen ganzheitlichen Ansatz gegen Menschenhandel mit umfassenden Maßnahmen in den Bereichen Prävention, Opferschutz und Strafverfolgung. Dazu gehören u.a. die Einrichtung einer nationalen Koordinierungsstelle, aufenthaltsrechtliche Reformen und eine nachhaltige Finanzierung von Fachberatungsstellen. Einer Ausbeutung der Betroffenen ist außerdem durch einen leichteren Zugang zu regulierten Arbeitsverhältnissen für Migrant*innen präventiv entgegenzuwirken. Der DF tritt für eine präzise Unterscheidung zwischen Menschenhandel zum Zweck sexueller Ausbeutung auf der einen und legaler Prostitution auf der anderen Seite ein. Der DF lehnt die Kriminalisierung von Prostitution ab, da dies zu mehr Gesundheitsrisiken, prekären Lebensverhältnissen und Gewalt führt. Vielmehr muss der gesellschaftlichen Marginalisierung von Sexarbeiter*innen entgegengewirkt und deren soziale und rechtliche Lage verbessert werden.
8. Digitale Gewalt und Frauenhass wirksam bekämpfen
Frauen werden im Internet zunehmend Opfer von Mobbing, Bedrohungen und Beschimpfungen. Gerade netzaktive Frauen wie Bloggerinnen, Aktivistinnen, Journalistinnen, Politikerinnen und Feministinnen erleben zunehmend geschlechtsspezifische Drohungen als Reaktionen auf ihre Meinungsäußerungen. Um effektiv dagegen vorzugehen, fordert der DF die Schaffung eines neuen Straftatbestandes digitale Gewalt, Beweislasterleichterung zugunsten der Betroffenen von digitaler Gewalt, mehr Beratungs- und Anlaufstellen für Betroffene sowie Schulungen für Polizei, Justiz, Lehrkräfte und pädagogische Mitarbeiter*innen in diesem Bereich.
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