In der Krise zeigt sich die fehlende Präsenz von Frauen in Parteien, Parlamenten, Führungspositionen und entscheidungsgebenden Gremien und die ungleiche Verteilung von Macht, Verantwortung und Einflussnahme zwischen den Geschlechtern: Es sind vorwiegend Männer, die aktuell erklären und entscheiden. Ob Virologen, Chefärzte in Kliniken und Pflegeeinrichtungen, Ökonomen, die in der Krise dominanten Minister in Bund und Ländern und Mitglieder in wissenschaftlichen Beratungsgremien – fast alles weiße Männer mittleren oder höheren Alters. Untersuchungen der MaLisa Stiftung zur Corona-Berichterstattung zeigen eine einseitige Expertenherrschaft: In TV-Formaten ist nur eine*r von fünf Expert*innen weiblich. In der Online- Berichterstattung werden Frauen nur zu rund 7 Prozent als Expertinnen erwähnt.
In einer stabilen Demokratie müssen alle politisch teilhaben können. Corona aber hat weltweit einen politischen Notstand hervorgebracht, der die politisch Verantwortlichen zu schnellem Handeln zwingt. In einer nie dagewesenen Geschwindigkeit werden drastische Entscheidungen getroffen und Gesetze beschlossen, die nicht nur das Leben und die Rechte aller Bürger*innen massiv einschränken, sondern auch unterschiedlich auf Frauen und Männer wirken. Das alles geschieht weitgehend unter Ausschluss der (weiblichen) Zivilgesellschaft. Eine Vertretung von Interessengruppen ist in der Krise damit unmöglich. Dabei ist gerade jetzt eine agile und kritische Zivilgesellschaft besonders wichtig. Interessengruppen müssen der Politik widersprechen und alternative Szenarien einbringen können. Nur wenn die Zivilgesellschaft gehört wird, kann die Politik die Krisenbewältigung gerecht und im Sinne aller gestalten.
Corona sorgt für einen Digitalisierungsschub in allen Lebensbereichen. In Zeiten von Kontaktverboten ist die digitale Kommunikation die am meisten genutzte Kommunikationsform und sowohl für die Interessenvertretung durch Verbände als auch für die politische Meinungsbildung essentiell. Schädliche Stereotypen und Zuschreibungen führen jedoch zu fehlenden Kompetenzen und geringerem Zugang zu Endgeräten und digitalen Technologien für Mädchen und Frauen. Dieser sogenannte Digital Gender Gap existierte bereits vor der Corona-Krise und hält Frauen häufiger als Männer davon ab, sich digital an demokratischen Prozessen zu beteiligen. Für Frauenverbände bedeutet das einen massiven Einschnitt in Abstimmungsprozesse aber auch in der Kommunikation nach außen. Ihre Themen werden weniger sichtbar und ihre demokratische Teilhabe beschränkt.
Wissenschaftliche Gremien, die in Krisenzeiten über die Zukunft des Landes beraten, müssen vielseitige Perspektiven berücksichtigen und ausgewogen mit Frauen und Männern besetzt sein. Bei den Entscheidungen, auf die sie Einfluss haben, geht es um Existenzen von Familien und Unternehmen und gravierende Eingriffe in die offene Gesellschaft und das soziale Miteinander. Wichtige Zukunftsthemen, wie die Digitale Transformation, der Klimaschutz oder die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts werden nur gelingen, wenn Frauen in entscheidenden Positionen mitgestalten und damit ihre Perspektiven einbringen können – in Parlamenten, in Führungspositionen von Unternehmen, in Expert*innengremien zur Krisenbewältigung, in der medialen Diskussion in Talk-Shows, im Netz und vielen anderen Bereichen. Gleichstellung muss in allen politischen und gesellschaftlichen Bereichen erreicht werden. Nur so lässt sich die Demokratie nachhaltig stärken. Die Krise muss als Chance genutzt werden, diese Probleme anzugehen, die vorher schon da waren.
Ein effektives Mittel, um die Teilhabe von Frauen in entscheidungsgebenden Gremien der Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zu verbessern und strukturelle Diskriminierung beim Zugang in Machtpositionen zu beseitigen, sind gesetzliche Vorgaben. Für die Wahl des Bundestags fordern wir die paritätische Besetzung von Listen- und Direktmandaten, um Frauen gleichermaßen an politischer Machtausübung zu beteiligen und ihre Interessen, Sichtweisen und Erfahrungen in die Gesetzgebung einzubringen. Paritätsregelungen dürfen bei einer „Notlösung“ zur Wahlrechtsreform des Bundestages in dieser Legislaturperiode nicht fehlen. Für den Rest der Wahlperiode muss eine Kommission eingesetzt werden, die Eckpunkte für ein Paritätsgesetz mit Maßnahmen für Listen- und Direktmandate entwickelt und die Debatte in der nächsten Legislaturperiode fortsetzt.
Auch in der Wirtschaft haben gemischte Teams einen positiven Effekt auf den Unternehmenserfolg. Das belegen Studien längst. Gerade in der Krise ist die Förderung von Frauen in Führungspositionen eine effektive Maßnahme zur Stärkung der Wirtschaft. Zügig in die Tat umgesetzt werden müssen daher die geplanten Maßnahmen von Bundesfrauenministerin Dr. Franziska Giffey und Bundesjustizministerin Christine Lambrecht zur Einführung einer verbindlichen Frauenquote für Vorstände großer Unternehmen sowie zur Weiterentwicklung des Bundesgleichstellungs- und des Bundesgremienbesetzungsgesetzes. Auch in Medien, Kultur, Medizin und Wissenschaft sind Quoten nötig. Denn nur so wird langfristig sichergestellt, dass Frauen im öffentlichen Diskurs angemessen gehört werden.
Videokonferenzen, Chatprogramme und Headsets kosten Geld. Auch das Wissen und die Fähigkeit, eingespielte analoge Prozesse in digitale umzuwandeln, sind noch nicht überall angekommen. Gerade unterfinanzierte Frauenverbände bleiben im digitalen Transformationsprozess noch weit zurück und können sich nicht ad hoc professionelle Beratung einkaufen, die große Konzerne und Verbände sich in diesen Veränderungsprozessen aktuell leisten können. Die Bundesregierung muss hier bewusst gegensteuern und auf individueller und verbandlicher Ebene fördern. So würden Frauen und Mädchen nicht aus dem Prozess der politischen Meinungsbildung ausgeschlossen und eine verbandliche Interessensvertretung gewährleistet.
Demokratie lebt von vielfältigen Perspektiven. Gerade in der Krisenbewältigung müssen sie möglichst umfänglich in politische Entscheidungsprozesse einfließen. Nur so kann Krisenpolitik den Lebensverhältnissen von Frauen und Männern gleichermaßen gerecht werden und zur Überwindung von Ungleichheiten beitragen, statt sie zu verschärfen. Das jüngst beschlossene Konjunkturpaket der Bundesregierung führt eindrücklich vor, was besser werden muss: Frauen kommen hier hauptsächlich bei familienpolitischen Leistungen vor. Und das obwohl sie natürlich auch in vielen anderen Bereichen betroffen sind und die Krise sie am härtesten trifft. Der Staat muss eine angemessene demokratische Beteiligung der weiblichen Zivilgesellschaft im Rahmen von Gesetzgebungsverfahren gewährleisten. In diesem Zuge ist das von Bundesfrauenministerin Franziska Giffey geforderte Demokratiefördergesetz ein sinnvolles Vorhaben.
Teil 1: Für eine geschlechtergerechte Krisenpolitik
Teil 2: Finanzen fair verteilen – Für eine gerechte Konjunktur
Teil 3: Systemrelevant und (un)verzichtbar: Trägerinnen und Verliererinnen eines Systems