Zu Beginn der Corona-Pandemie waren Tagespflegeeinrichtungen, Schulen und Kitas über Wochen und Monate hinweg geschlossen. Bestehende Rechtsansprüche auf Kinderbetreuung wurden übergangen und die gesamtgesellschaftliche Verantwortung für die Vereinbarkeit von Beruf und Kinderbetreuung oder Pflege dadurch in einer Weise privatisiert, die viele Mütter und Frauenpolitiker*innen nicht mehr für möglich gehalten hatten.
Familien mit Kindern mussten plötzlich alles allein stemmen, oft in kleinen Wohnungen ohne Grün: Kinderbetreuung, Schulbildung, Freund*innen-Ersatz, zwei Jobs und den Haushalt. Wegen der Kontaktbeschränkungen konnten Familienangehörige und Freund*innen nicht helfen. Was zwei Eltern stark herausfordert, ist für die 1,5 Millionen Alleinerziehenden – davon rund 90 Prozent Frauen – schlicht nicht leistbar.
Häusliche Pflege, Kinderbetreuung und Hausarbeit wurden schon vor der Corona-Pandemie überwiegend von Frauen geleistet. Dieser Gender Care Gap öffnet sich in der Krise weiter: 27 Prozent der befragten Mütter und nur 16 Prozent der Väter reduzierten wegen der zusätzlichen Kinderbetreuung ihre Arbeitszeit. Der Abstand zwischen Männern und Frauen in der Erwerbsbeteiligung und in der Folge für Karrierechancen, Einkommen sowie Rente vergrößert sich dadurch ebenfalls.
30 Prozent der Paare, die sich vor der Pandemie die Betreuung ihrer Kinder partnerschaftlich aufgeteilt hatten, geben an, dass die Frauen in der Krise mehr übernahmen. Das führt zu Frust und Konflikten, denn viele Paare wünschen sich eine gleichberechtigte Arbeitsteilung. Repräsentative Daten zeigen: Trennungen und Scheidungen folgen derzeit nicht selten, für Frauen und ihre Kinder sind sie das Armutsrisiko schlechthin.
Frauen wie Männer haben laut Daten des Sozio-Oekonomischen Panels während des Lockdowns mehr Zeit mit Kinderbetreuung und Haushalt verbracht, sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland. Männer haben bei der Sorgearbeit im Durchschnitt sogar etwas Boden gutgemacht. Das könnte in Zusammenhang mit dem hohen Frauenanteil in den systemrelevanten Berufen stehen: Dieser liegt bei 75 Prozent, sodass Partner der hier beschäftigen Mütter zu Hause die Sorgearbeit übernommen haben dürften. Hoffnung kommt auf, dass zumindest in einigen Haushalten eine dauerhafte Umverteilung stattfindet.
In den letzten Monaten haben Arbeitgeber*innen oft das Homeoffice und flexible Arbeitszeiten ermöglicht. Daten über die Nutzung der durchs Homeoffice eingesparten Wegezeiten vor der Pandemie offenbaren ein altbekanntes Muster: Frauen investieren die gewonnene Zeit in Familienarbeit, Männer hingegen in ihren Job. Dieses Ungleichgewicht hat sich laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in der Krise verschärft: Frauen wechselten häufiger zugunsten der Kinderbetreuung ins Homeoffice und arbeiteten häufiger als Männer zu unüblichen Zeiten.
In der Zusammenschau zeigt sich, dass die über den Lebensverlauf verteilten Risiken für Frauen hinsichtlich ihrer eigenständigen Existenzsicherung in der Corona-Pandemie steigen. Je mehr Sorgearbeit Frauen dauerhaft übernehmen, desto weniger können Frauen erwerbstätig sein. Es drohen Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigung, sowie geringere eigene Rentenansprüche. Hinzu kommt das derzeit erhöhte Scheidungsrisiko. Individuelle Abhängigkeiten und Armut sind die Folgen.
Frauen und Männer müssen in allen Lebenslagen Erwerbs- und Sorgearbeit verbinden können – so das Leitbild des Ersten und Zweiten Gleichstellungsberichts der Bundesregierung. Das gilt auch in Krisenzeiten. Der Staat muss verlässliche Rahmenbedingungen schaffen. Gerade wenn für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung besondere Maßnahmen erforderlich sind, bleibt der Gesetzgeber in der Verantwortung dafür, dass Vereinbarkeit gelingt. Deswegen müssen Politiker*innen und ihre Berater*innen insbesondere die Lebenswirklichkeit von Müttern, Kindern und Pflegenden einbeziehen und Konjunkturmaßnahmen so gestalten, dass sie auch die Beschäftigung und das Einkommen von Frauen sichern.
Alle, die in der Krise Kinder oder Angehörige wegen geschlossener Einrichtungen betreuen und deshalb auf Erwerbseinkommen verzichten mussten, benötigen dafür staatliche Kompensationen. Pflegende Angehörige bekommen bislang gar keine Kompensation und Eltern nur in Ausnahmen: Das Infektionsschutzgesetz, das in der Pandemie Entschädigungsleistungen für Verdienstausfälle durch Kinderbetreuung regelt, erachtet Erwerbsarbeit und parallele Kinderbetreuung im Homeoffice als möglich – unabhängig vom Alter oder der Anzahl der Kinder. Das ist unrealistisch und widerspricht anderen Gesetzen. Das Sozialrecht geht davon aus, dass eine Erwerbsarbeit mit der Kindererziehung eines unter dreijährigen Kindes nicht vereinbar ist, wenn eine Kinderbetreuung fehlt. Zurecht gilt sie in diesem Fall als „unzumutbar“ (§10 Absatz (1) Satz 3 SGB II).
Nach der Krise muss Sorgearbeit wieder und gerechter zwischen den Geschlechtern umverteilt werden. Der Staat kann das mit klugen Maßnahmen fördern und einer Retraditionalisierung aktiv entgegenwirken. Um Männer stärker einzubinden, fordert der Deutsche Frauenrat eine bezahlte Freistellung für Väter und Co-Mütter rund um die Geburt einzuführen. Je früher Männer Verantwortung in der Kinderbetreuung übernehmen, desto eher werden sie auf Dauer zu aktiven Vätern. Das befördert eine partnerschaftliche Arbeitsteilung und stärkt mittelbar Frauen in ihrer Erwerbstätigkeit. Eine solche Freistellung soll mindestens zwei Wochen dauern und wie das Elterngeld aus Steuermitteln finanziert werden. Beim Elterngeld selbst müssen die nicht übertragbaren Elterngeldmonate ausgeweitet werden. Für Pflegezeiten ist eine Entgeltersatzleistung, analog zum Elterngeld, ein geeigneter Anreiz für mehr Männer, in der informellen Pflege Verantwortung zu übernehmen.
Die Krise hat gezeigt, wie elementar öffentliche Kinderbetreuungs- und Pflegeangebote für die Erwerbsarbeit von Frauen sind. Gezielte Investitionen in den Ausbau einer bedarfsgerechten Betreuungs- und Bildungsinfrastruktur sowie in die öffentliche Pflegeinfrastruktur sichern die Chancen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Darüber hinaus setzen sie konjunkturpolitische Impulse. Der Deutsche Frauenrat begrüßt deshalb, dass der im Koalitionsvertrag zugesagte Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter umgesetzt und der Ausbau mit Bundesmitteln finanziert werden soll. Nachdem sie in der Krise in Betreuungsfragen allein gelassen wurden, könnten Mütter dadurch wieder mehr Vertrauen in die gesamtgesellschaftliche Verantwortungsübernahme für die Vereinbarkeit fassen.
Ebenfalls im Koalitionsvertrag angekündigt sind öffentliche Zuschüsse für haushaltsnahe Dienstleistungen, die vielen Familien Zeitressourcen verschaffen würden. Die Förderung legaler haushaltsnaher Dienstleistungen verringert prekäre sowie illegale Arbeitsverhältnisse und wertet mit besserer Entlohnung vermeintlich „weibliche“ Hausarbeit auf. Die Zuschüsse müssten auch für Menschen mit geringen Einkommen zugänglich sein, damit Partnerschaftlichkeit nicht vom Geldbeutel abhängt.
Eine gleichstellungsorientierte Familienpolitik kann nur dann ihre Wirkung entfalten, wenn sie auf eine familienorientierte Arbeitszeitpolitik trifft. Der Gesetzgeber ist deswegen aufgefordert, Betriebe und Dienststellen zur systematischen Auseinandersetzung mit „Lebensphasenorientierten Arbeitszeiten“ zu verpflichten: Beschäftigte müssen das Recht erhalten, Dauer und Verteilung ihrer vertraglichen Arbeitszeit zu verändern sowie ihren Arbeitsort frei zu wählen.
Die guten Erfahrungen mit Homeoffice und mobilem Arbeiten können zu ihrer Akzeptanz bei Arbeitgeber*innen beitragen. Bei gesetzlichen Neuregelungen zu Homeoffice und mobilem Arbeiten sind Diskriminierungseffekte auf Frauen systematisch zu vermeiden. Dazu müssen Standards festgelegt werden, die größtmögliche Selbstbestimmung über den wechselnden Arbeitsort, ausreichende Präsenz von Frauen bei Beratungen und Entscheidungen im Betrieb, Schutz vor Entgrenzung sowie gleichen Zugang zu mobilen Arbeitsmitteln sicherstellen.
Eine zweite Corona-Infektionswelle ist vorstellbar. Sollten massive Kontaktbeschränkungen erneut notwendig sein, müssen Vereinbarkeitsfragen schnell beantwortet werden. Die Bundesregierung sollte in dem Fall einen Betreuungsgipfel einberufen und neue Leistungen wie ein Corona-Elterngeld oder andere Familien-Soforthilfen diskutieren. Die schrittweise Öffnung von Kitas und Grundschulen sollte prioritär behandelt werden, nicht zuletzt wegen der Wahrung von Kinderrechten. Während der ersten Welle haben andere Länder wie Dänemark das vorgemacht.
Schon jetzt betreuen Eltern ihre Kinder mit kleinsten Erkältungsanzeichen wieder zu Hause und müssen sie testen lassen. Der Herbst kommt erst noch. Mütter brauchen Lösungen.
Teil 1: Für eine geschlechtergerechte Krisenpolitik
Teil 2: Finanzen fair verteilen – Für eine gerechte Konjunktur
Teil 3: Systemrelevant und (un)verzichtbar: Trägerinnen und Verliererinnen eines Systems
Teil 5: Gewalt gegen Frauen: Das Problem wird größer
Teil 6: Mehr Frauen für eine starke Demokratie
Teil 7: Gesundheitsversorgung und Pflege in Würde – auch unter Corona